Kultur

Der Massenmörder Richard III (Norman Hacker) driftet allmählich in die Schizophrenie hinein. (Foto: Matthias Horn)

15.12.2017

Gefährlicher Dreckskerl

„Richard III“ gerät im Münchner Residenztheater zur Richie-Horror-Picture-Show

Farben? Fehlanzeige! Vom Programmheft bis zur Ausstattung dominiert in dieser Inszenierung von Shakespeares Wüstlingsdrama Richard III das, was Karl Valentin „dunkelschwarz“ genannt hat. Wobei es schon zu denken gibt, dass einem ausgerechnet dieser große Komiker einfällt angesichts einer Story, die doch eigentlich absolut nichts Lustiges hat. Richard III. ist ein hemmungsloser Massenmörder und Betrüger, der alle beseitigt, die in der Thronfolge vor ihm stehen. Regisseur Michael Thalheimer setzt auf Finsternis: Düstere Dämmerung herrscht in dem turmhohen schwarzen Schacht, den Bühnenbildner Olaf Altmann ins Münchner Residenztheater gebaut hat. Auf dem Grund dieses Schauerortes, auf der Spielfläche also, liegen Berge von Knochenschutt: die Reste derer, die nicht nur König Richard III. gemeuchelt hat, sondern die schon all den Kriegen, Morden, Machtkämpfen vor ihm zum Opfer gefallen waren. Von hinten kriechen und waten sie durch diese Halde zertrümmerter Gebeine hervor, die Lords, die Grafen, die Könige und ihre Damen, die Richard ins Jenseits befördern wird, so wie sie selbst zuvor andere ins Jenseits befördert haben. Knochen pflastern ihren Weg. Mit rabenschwarzen Gewändern und schwarz umrandeten Augen sehen die Figuren des Stücks allerdings aus, als gehörten sie sämtlich der Gothic-Szene an.

Wie beim Schichtl

Aber so kurios wie die läppische Plastik-Dämonie der sogenannten Gruftis wirkt es seltsamerweise auch meist, wenn an diesem Abend ständig Kehlen durchgeschnitten werden, dass das Blut nur so spritzt, oder Plastiktüten über Köpfe gestülpt werden, bis die Opfer wild zuckend verröcheln. Und der Mörder der beiden Prinzen im Tower hält gar seine bluttriefenden Hände so effektvoll in einen einsamen Spot, der die Schwärze der Bühne durchstrahlt, dass man sich vorkommt wie beim Schichtl auf dem Oktoberfest. Zugegeben, diese ganze Splatter-Anmutung, dieser Drall ins Triviale, ist schon bei Shakespeare angelegt, dem sonst meist deutlich Subtileres gelang als dieses Stück. Und doch wird man den Eindruck nicht los, dass das pseudo-dämonische Grusel-Gewese, der Geisterbahn-Appeal dieses Abends dem Regisseur eher versehentlich unterlaufen ist. Oder wollte er Richard III wirklich als Richie-Horror-Picture-Show inszenieren? Die überzeugenden Momente der Aufführung sind dagegen die, wenn Massenmörder Richard weniger als pathologischer Sonderfall, sondern nur als die konsequenteste Ausprägung eines Systems erscheint, in dem Machtstreben und Egoismus konstitutive Prinzipien bilden. Dieser Dreckskerl, wie er sich selbst nennt, offenbart die Fratze einer Welt, wo Ehrgeiz und Durchsetzungsfähigkeit als Tugenden gelten, wo nicht Kooperation, sondern Konkurrenz und Selektion regieren. Als Anpassung an diese Verhältnisse lässt Norman Hacker, der in der Titelrolle eine Berserkerleistung vollbringt, die Verkrüppelung seines hinkenden Richard erscheinen. Dieser langhaarige, versiffte Zausel driftet durch permanente Lüge und Verstellung allmählich in die Schizophrenie hinein, wo er dann mit Kastratenstimme kiekst. Aber schon von Anfang an macht er sichtbar, dass Kalkül und Wahnsinn nur zwei Seiten derselben Medaille sind. (Alexander Altmann)

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