Kultur

Luftig leichtes Leben in der orientalischen Stadt: zumindest auf Taschentüchern, nicht aber unter der schweren Burka. Nele Ströbel und ihre Installation "Erinnerungstücher" in der Obersten Baubehörde. (Foto: Dütsch)

30.07.2010

Geheimnisvolle Organisation

Nele Ströbels multimediale Ausstellung in der Obersten Baubehörde zeigt die Prinzipien der orientalischen Stadtgestaltung

Des Mannes liebstes Stück streng verschleiert, selbst der aufragende Stern nur erahnbar: „Autoburka“ nennt Nele Ströbel provozierend die Hussen, die in arabischen Ländern gerne über bessere Karossen gestülpt werden, um sie vor Sonne und Staub zu schützen. Zwei Fensterchen sind ausgespart, in ihnen Bildschirme, auf denen im Loop Alltagsszenen aus dem Orient vorbeiziehen: eine verschleierte Frau, händchenhaltend mit eineam Mann; verschleierte Frauen, die Männer an Kaufhauskassen abkassieren; in Großaufnahme das Eau de Cologne „One Man Show“; verschleierte Frauen in der Bibliothek, wie sie die Geheimnisse im World Wide Web unzensiert erforschen; unverschleierte Frauen, lachend an der häuslichen Tafel. „Nein“, stellt Nele Ströbel schnell klar, „diese hier tragen auch in der Öffentlichkeit keinen Schleier, das sind Ärztinnen.“ Außerdem sind das Szenen aus Kairo – in Ägypten herrscht kein offizielles Gebot, dass Frauen den Schleier tragen müssen. Nele Ströbel hat sich in den vergangenen Jahren auf multimediale Stadtwanderungen begeben – durch Kairo, Damaskus und Isfahan. Zu Fuß, zeichnend, fotografierend und filmend hat sie das charakteristische Verhältnis zwischen öffentlichem Raum und Privatheit in den orientalischen Altstädten ergründet: „Die Erker und Winkel des Privatraumes wachsen regelrecht aufeinander zu, überwuchern nahezu den öffentlichen Raum.“ Aus ihren Erlebnissen hat die Münchner Bildhauerin nun ein „begehbares Tagebuch“ kompiliert – konzentriert auf 20 Exponate, die sie im Foyer der Obersten Baubehörde in München arrangiert hat. Ein Genius loci: Dort befindet sich die bayerische Schaltzentrale für privates und öffentliches Bauen, für Haus- Siedlungsgestalt. Das Haus ist eine Behörde – als solches ist ihm Ambivalenz zwischen Öffentlichkeit und Quasi-Privatheit der (meisten) Büros imanent. Zum fast intimen, begrünten Atrium des Hauses hin ebenso wie zur breiten Ringstraße mit der Staatskanzlei vis-à-vis verglast, macht das Foyer die Spannung zwischen drinnen und draußen eindringlich erlebbar, auch beim Gang über den Boden mit Straßenpflaster.

Im Off enden

Architektonisch klar strukturiert – nüchtern. Gleichwohl eine dichte Atmosphäre – die Nele Ströbel aufheizt: Unsere gewohnten Orientierungsmuster der gebauten (westlichen) Umwelt werden konfrontiert mit der exotischen Fremdheit einer orientalischen Altstadt. Hin- und hergerissen zwischen Orientierungslosigkeit und Forscherdrang suchen die Augen Wege durchs Gassengewirr von Damaskus oder Isfahan. „Viele Gassen enden im Off“, das hat die Bildhauerin bei ihren Stadtwanderungen selbst erfahren. Um sich zurechtzufinden, hat sie Stadtpläne („Bildobjekte“) gezeichnet, unseren Sehgewohnheiten entsprechend zweidimensional, aus der Vogelperspektive. Schwarze Filzstiftstriche auf rohweißem Grund – nichts von ablenkender, phantasiebeflügelnder Farbenpracht. Das Rund der Scheibenform (3,6 Meter Durchmesser) als strenger Rahmen verhindert das Ausufern der Unübersichtlichkeit, gibt Halt im Herumirren. Mit ein paar schritten Abstand eine ganz neue Assoziation zu diesem Abbild eines urbanen Kosmos’: Da erscheint die Stadt wie eine Zelle in Mikroskopdurchsicht. Die Linien beginnen regelrecht zu pulsieren: ein Leben, dessen Gesetzmäßigkeiten entschlüsselt werden wollen. Eine ungeheure Komplexität, die zwar nicht geplant ist, sich aber geheimnisvoll selbst organisiert. Nele Ströbel hat auch Detailpläne einzelner Quartiere gezeichnet, denen sie satte Farbe gibt – aber auch hier keine Farben wie aus 1001 Nacht, sondern grelles Neongelb: Eine nachtleuchtende Farbe, wie sie international zur Kennzeichnung von Fluchtwegen eingesetzt wird. Der vertrauten orientalischen Farbenpalette begegnet man trotzdem auch in dieser Ausstellung: bei der Wandinstallation islamic mousepads, lauter Teppichen im Miniaturformat für den PC-Tisch. Einmal entdeckt man ein solches Readymade auch in einem der Damas cornerpieces, dort markiert es tatsächlich als Teppich den Boden eines Wohnraumes. Diese cornerpieces aus Terrakotta sind modellhafte Studien zum öffentlichen Raum, aus der Fläche entwickelte Module, die Bauelemente wie Erker ebenso beschreiben können wie einen ganzen Raum. Aus Terrakotta ist auch der Damastower, unmittelbar zwischen die großen Stadtpläne platziert: „Türme sind in der orientalischen Stadt ungemein wichtige Landmarken zum räumlichen Memorieren“, erinnert sich Nele Ströbel an ihre Erkundungstouren. Die eigenwillige bauliche Struktur macht „die“ orientalische Stadt in ihrer Gesamtheit freilich noch lange nicht aus. Nele Ströbel hat auch Szenen und Motive aus dem Alltagsleben in „Bildobjekte“ umgesetzt: Wunderschön etwa die Installation Erinnerungstücher an den Fensterscheiben zum begrünten Atrium des OBB-Foyers: Fotografien auf Stoff-Taschentücher gedruckt stehen für die sehr persönliche Aneignung von öffentlichem Stadtraum: Die Tücher, gar mit Monogramm verziert, gibt man so schnell nicht aus der Hand. Latent zudem die Erinnerung, dass gerade orientalisches Straßenleben mit Gerüchen assoziiert wird.

Gebrochener Blick

So luftig, transparent diese Arbeit ist, die auch ein wenig an einen Stand mit wehenden Tüchern in einem wuseligen Bazar, also einen öffentlichen Ort par excellence im Orient denken lässt, so schwer und spärlichen Durchblick gönnend die cutouts: Auf schwarzem Tonpapier hat Nele Ströbel mit weißem Stift reale Plätze skizziert, mit dem Skalpell kleine Öffnungen herausgeschnitten. Bei allem Reiz dieses scherenschnittartigen Puzzles, das typisch ist für die Geometrie orientalischer Muster: So parzelliert ist der Blick durch die filigran gearbeiteten Holzerker alter Häuser, der Frauen in der traditionellen orientalischen Gesellschaft oftmals die einzige Möglichkeit bot, wenigstens mit den Augen am nächstliegenden öffentlichen Leben teilzuhaben. Solchermaßen „gebrochen“ ist auch der Blick der Burkaträgerin, selbst wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegt. Das macht sie ohnehin meist zu Fuß – autofahrende Frauen sind in vielen arabischen Ländern noch keine Selbstverständlichkeit. Insofern mögen Nele Ströbels Stadtwanderungen – zum Teil verschleierte sie sich auch selbst – die spezifische Wahrnehmung des öffentlichen Raumes durch Frauen wiederspiegeln. (Karin Dütsch)

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