Kultur

Auf den ersten Blick sieht Franz Xaver Nachtmanns Bild aus wie die typischen Schutzengelbilder des 19. Jahrhunderts. Tatsächlich stecken hinter dem Süßlichen jede Menge politisch-programmatische Hinweise und Erwartungen an den künftigen Thronfolger. Hier ein Ausschnitt, die Gesamtansicht finden Sie in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: Diözesanmuseum Freising)

15.02.2019

Gottgeschenkter Märchenkönig

Ein Buch über das erst jüngst wieder aufgetauchte Gemälde, das wahrscheinlich Ludwig I. anlässlich der Geburt seines Enkels in Auftrag gab

Das Diözesanmuseum Freising hat ein Gemälde erworben, das zur Geburt von Ludwig II. entstand. Bei allem süßlichen Anschein steckt es voller politischer Aussagen. Obendrein lässt es das Märchenhafte, das den späteren König umran- ken sollte, in einem neuen Licht erscheinen. Das Museum hat ein faszinierendes Buch zum Bild herausgegeben.

Das schaut regelrecht anmaßend aus: Gut, es war die Geburt des übernächsten Thronfolgers – aber den kleinen Ludwig deshalb wie in einem heilsgeschichtlichen Plan präsentieren? Mit gleich zwei Engeln, die ihn vom Himmel herabbringen, vom schützenden Blick der Muttergottes mit dem Jesuskind begleitet und genauso nackt wie einst der göttliche Knabe – allerdings auf edlem Sternentuch und von Blumen umkränzt. Es ist auch kein Strohlager, auf das er gebettet wird, sondern feinstes Bettzeug in einer bekrönten Prachtwiege; am Kopfteil wird eine von Eichenlaub umkränzte Gloriole ihren Goldschimmer auf das Köpfchen des „Erlösers“ werfen. Anbetend kniet schon ein weiterer Engel neben der Wiege, bereit, das Neugeborene zu bedecken. Das Blau seiner Schärpe mag man als Verweis auf die Landesfarbe und ihn damit als Symbol für Bayern deuten, das ihm huldigt. Zusammen mit dem Rot der Engelsflügel sind das aber auch die Farben Mariens – hier natürlich der Patrona Bavariae.

Endlich ein Thronfolger!

Als Geschenk Gottes mag die Geburt des Erstgeborenen am 25. August 1845 Bayerns Kronprinzenpaar Maximilian und Marie vielleicht tatsächlich empfunden haben, konnte damit doch dem Getuschel Wind aus den Segeln genommen werden, warum die Königin in spe nach drei Ehejahren und einer Fehlgeburt noch immer keinen künftigen Thronerben zur Welt gebracht hatte.

Aber die Eltern waren es wohl kaum, die bei dem niederbayerischen Maler Franz Xaver Nachtmann ein Bild anlässlich der Geburt ihres Sohnes beauftragt haben. Vielmehr deutet alles auf den Großvater hin, auf den damals herrschenden Ludwig I. – dieser ist mit seiner Gattin Therese in dem Altarbild zu sehen. Der Enkel kam just an seinem eigenen Geburtstag zur Welt – eine Vorsehung? Der Tratsch vermutete freilich schon damals, dass das kein Zufall gewesen sei, dass der Kleine vielmehr ein paar Tage früher auf die Welt gekommen sein soll. Auch Gerüchte über die Vaterschaft – in späteren Jahren von Ludwig II. selbst befeuert – kursieren bis heute.

Vier Adelshäuser verbunden

Solch Profanem ungeachtet, wird auch dem König die Geburt des Enkels wie eine Erlösung vorgekommen sein – weniger als Opa, sondern als Regent in überaus fragiler Zeit. Kaum war Bayern ein Königreich geworden (1806) – der Größe nach war man zwar Nummer drei hinter Österreich und Preußen, hatte aber überregional nicht viel zu melden –, schon zeichnete sich die Erosion des Monarchischen ab. Umsturzgedanken kursierten im alten Europa und bereiteten biedermeierlicher Restauration ein Ende. Es galt, als Regent starke Zeichen zu setzen.

Da kam so ein Stammhalter gerade recht, der gleich vier prominente Adelsgeschlechter miteinander verband: die Wittelsbacher mit den Hohenzollern, den ernestinischen Wertinern und dem Haus Hessen. Den in alten Zeiten begründeten Herrschaftsanspruch der Wittelsbacher mag in dem Bild der gotisierende Raum signalisieren. Aber subtil geht der Rückgriff gar noch weiter: Die Säule im Bildhintergrund erinnert an jene im Würzburger Dom und zitiert eine alttestamentarische „Jachin-Säule“, was so viel bedeutet wie „Er wird festigen“.

Das mit der religiösen Überhöhung der Geburt, das Sakralisieren vom Profanen mit Hoheitsformeln der christlichen Kunst war Kalkül: Nach der Aufklärung und dem Sturm der Säkularisation hatte das Königshaus schnell gelernt, dem Volk Zeichen religiöser Identität zurückzugeben respektive sie sich zur Auffrischung der Legitimation des eigenen Gottesgnadentums zunutze zu machen.
Die enge Verbindung der Herrscher zum Herrgott hatte man ohnehin immer aufrecht gehalten: In der Verfassung von 1918 ließ man sich festschreiben, dass die Person des Königs „heilig und unverletzlich“ sei.

Was dem kleinen Ludwig jedoch im Nachtmann-Bild symbolisch mit auf den Lebensweg gegeben wurde, sollte sich schließlich als tragisches Trugbild erweisen. Er wurde ein innerlich in jeglicher Hinsicht zerrissener König. Die im Gemälde angedeutete Prophezeiung „Er wird festigen“ sollte sich nicht bewahrheiten. Weder war er eine gefestigte Persönlichkeit, noch schaffte er es, sich als gefestigter Regent gegen die Übermacht der Ministerialbürokratie zu behaupten.

Bayern war säkular geworden – kein heiliger Schutz bewahrte ihn davor, letztlich ganz profan entmündigt zu werden. Ihm, der so gut wie täglich in die Kirche ging, verweigerte man an seinem Todestag gar den Gottesdienstbesuch.

Solche assoziativen Interpretationen des Gemäldes sind natürlich erst in der historischen Nachbetrachtung möglich. Sie erschließen aber eine Facette in Ludwigs Biografie, die auf die übergroßen und angesichts der sich abzeichnenden politischen Zeitenwende realitätsfernen Erwartungen an den künftigen König bei dessen Geburt verweisen – und so auch dem Begriff des Märchenhaften eine weitere Bedeutungsebene geben.

Detaillierte Analyse

Selbstverständlich war schon 1845 Nachtmanns Gemälde kein unverbindliches Erinnerungsbildchen, sondern strotzte – trotz zeittypisch „süßlicher“ Manier – nur so vor hochpolitischen Bezügen. Diese analysieren renommierte Autoren in dem von Christoph Kürzeder herausgegebenen Buch In die Wiege gelegt. Ludwig II. – der gottgeschenkte Märchenkönig bis ins kleinste Detail. Kürzeder ist Direktor des Diözesanmuseums in Freising. Der hervorragend wissenschaftlich breit angelegte wie geradezu kurzweilig-spannend zu lesende und reich bebilderte Band rundet den Kauf (2016) des Nachtmann-Gemäldes durch das Museum ab. Und man kann sagen: Das Buch sollte in den Bibliotheken zu Ludwig II. keinesfalls fehlen. (Karin Dütsch)

Information: Christoph Kürzeder (Hrsg.), In die Wiege gelegt. Ludwig II. – der gottgeschenkte Märchenkönig, Allitera Verlag, München, 172 Seiten, 24,90 Euro. ISBN 978-3-96233-059-0


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