Kultur

Herkules gleicht am Ende einem wild dreschenden Monster. In der Hauptrolle Max Wagner, hier mit Thomas Eisen als Amphitryon. (Foto: Arno Declair)

15.02.2019

Held mit Burnout

„Herakles“ am Münchner Volkstheater verbindet Archaisches mit aktueller Zeitkritik

An diesem Theaterabend muss keiner in die Röhre gucken. Und das, obwohl als Hauptrequisit biegsame Ziehharmonika-Röhren in allen erdenklichen Größen dienen, die wahlweise Keulen, Schlangen oder Babys darstellen, aber auch Säulen und die siebenköpfige Hydra; sogar zum Hochzeitskleid kann man sie ebenso umfunktionieren wie zur Weltkugel.

Stellenweise ist sie auch zum Röhren komisch, diese Inszenierung von Simon Solberg. Der gern gesehene Gast am Münchner Volkstheater hat dort nach Texten von Euripides, Gustav Schwab und Frank Wedekind Herakles auf die Bühne gewuchtet. Eine wahre Herkulesaufgabe, zumal Superman-Geschichten ja zwingend nach Satire schreien. Weshalb auch dieser Abend erst mal als Slapstick-Revue daherkommt, bei der alle Akteure ständig platschend und spritzend ins Wasser fallen, das die ganze Bühne bedeckt – offenbar sind im alten Mykene die Röhren nicht mehr ganz dicht.

Sächselnder Riese

Für Erheiterung sorgt ebenfalls der Riese Atlas, der nicht nur die Welt auf den Schultern trägt, sondern auch Sächsisch spricht. Zudem muht und mäht es allerorten, weil in griechischen Sagen immer Viehherden und Viechereien vorkommen. Wie bei Superhelden aber üblich, scheint auch Herakles nicht gerade eine große Leuchte: Max Wagner in der Titelrolle ist umwerfend komisch, wenn er unbeholfene Satzfragmente ins Mikrofon stammelt wie ein Fußballspieler.

Ohnehin bleibt es ein Rätsel, warum Herakles als wandelndes Kraftpaket nicht einfach seinen Vetter, den Familienboss Eurystheus (Jakob Geßner im sichtbaren Fatsuit), zerquetscht, der ihm ständig neue übermenschliche Aufgaben stellt, um ihn loszuwerden. Stattdessen betet der Held als tumber Untertan brav die Losung des Eurystheus nach, ohne sie als Herrschaftsideologie zu durchschauen: „Ein jeder trägt die Last zum Wohle aller.“ Kein Wunder, dass Herakles mit seinen Hosenträgern wie die Karikatur eines Working-Class-Heroe aussieht.

Während Nebel wallen und bei effektvoller Beleuchtung alles gischtet, kreischt und dröhnt, geht das herrliche Geblödel aber verblüffend organisch in eine erschütternde Tragödie über, die archaische Wucht mit aktueller Zeitkritik verschmilzt. Denn am Ende erleidet der vom vielen Drachentöten überarbeitete Herakles eine krasse Form von Burnout: Er wird verrückt und metzelt seine Frau samt seinen Kindern hin, weil er sie in einem Wahnsinnsanfall für Riesen oder Ungeheuer hält.

Starke Bilder

Der Regisseur hat für diese Szene das eindringlichste Bild eines an starken Bildern reichen Abends gefunden: Max Wagner klatscht sich eine dicke Kruste erdigen Schlamms auf das Gesicht, sodass sein Herkules buchstäblich mit Blindheit geschlagen ist und zugleich selbst wie ein tellurisches Monster aussieht. Dann drischt er, zusätzlich zum dissonanten Lärm aus den Lautsprechern, mit zwei Holzstöcken wild auf eine Trommel ein, aus der auch noch Wasser spritzt, als wäre es Blut.

Sicher, Simon Solberg stellt die Handlungsabfolge der antiken Vorlage etwas um, aber dadurch trifft die Geschichte exakt den Leistungsirrsinn unserer Überforderungsgesellschaft, in der die größte Gesundheitsgefahr wohlweislich verschleiert wird. Denn mindestens so wichtig wie auf Zigarettenschachteln wären Warnhinweise auf Büro- und Werkstüren: „Arbeit kann tödlich sein“. (Alexander Altmann)

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