Kultur

06.07.2012

Hörfähigkeit verbessern

Alexander Pereira übernimmt die Salzburger Festspiele

Dieser Tage endet seine Intendanz in Zürich – die nächste ist längst unter Dach und Fach: Alexander Pereira über- nimmt die Salzburger Festspiele. Seine Überzeugung: Das Publikum muss besser hören lernen.
Der neue Intendant überrumpelte sogar Berufs-Grantler und Untergangs-Witternde mit einem Kontinente und Epoche umfas-senden Musik- und Theaterprogramm, das Interpretenaufgebot lässt selbst Festspiel-Stammgäste die Qual der Wahl auskosten: an Mariä Himmelfahrt etwa muss man sich zwischen vier Konzerten und Ariadne auf Naxos um 15 Uhr oder La Boheme um 17 Uhr entscheiden – man spielt neuerdings Oper gleich an vier Schnürlregen sicheren Orten.
Was für ein Auftakt! Eine ganze zusätzliche Woche ist sakraler, zumindest religiöser Thematik naher Musik gewidmet – aller Weltreligionen. Die verschüttete Tradition der „Kirchenkonzerte“ wird machtvoll wiederbelebt (Claudio Abbado kehrt nach 15 Jehren Salzburg Abstinenz für Schuberts Es-Dur Messe zurück) und ökumenisch erweitert: Das Israel Philharmonic Orchestra führt unter Zubin Mehta unter anderem Schönbergs Kol Nidre und Bruckners Te Deum auf.
Ein weiter Bogen spannt sich vom Eröffnungsabend mit Haydns Schöpfung bis zum Finale mit Verdis Requiem, Daniel Barenboim musiziert mit dem Scala-Orchester und den Solisten Anja Harteros, Elina Garanca, Jonas Kaufmann und René Pape. Hans Sachs würde wohl loben „Das nenn’ ich mir einen Abgesang ...“ – doch Meistersinger plant Alexander Pereira erst für das Wagnerjahr 2013.
Die Hommage à Mozart wird eine neue Zauberflöte sein und man wird nicht primär luren, welch wilde Tiere ihr holder Zauberton anlockt, sondern die Ohren spitzen, wie vertraut Gewöhntes klingt: Nikolaus Harnoncourt musiziert mit dem Concentus musicus Wien auf historischen Instrumenten. Ob die Ausgrabung der Oper Das Labyrinth, in der Emanuel Schikaneder der „Zauberflöte zweyten Teil“ dramatisierte und die Peter von Winter 1798 komponierte, eine Sommerreise wert ist, wird sich weisen.
Dank Anna Netrebko und Piotr Beczala dürfen wir erleben, dass Salzburg endlich auch Puccinis würdig geworden ist. Carmen und Giulio Cesare werden von den diesjährigen Oster- bzw. Pfingstfestspielen übernommen. Solch exquisite Vermarktung ist etat- und publikumsfreundlich. Ausnahme oder Regel? Zu Ostern 2013 jedenfalls debütiert Christian Thielemann mit Parsifal.
Oper konzertant ist Programmbestandteil seit Jahrzehnten: singen Placido Domingo oder Rolando Villazon (Tamerlano bzw. II re pastore), verwandelt ihre Gestaltungskraft das Podium zur Bühne. Nicht ganz so lang wie La Bohème (1896) mussten Die Soldaten (1965), dies niederschmetternd grandiose Pandämonium des deutschen Nachkriegs-Musiktheaters, auf Salzburg-Ehren harren. In einem Familienkonzert kann man sich daran ergötzen, wie Bernd Alois Zimmermann, dieser Seher menschlicher Abgründe, Wilhelm Buschs Fromme Helene vertonte, bevor er noch der niedrigen Weihen der Darmstädter Zwölfton Missionare teilhaftig wurde.
Alexander Pereira wirbt für die Gleichberechtigung der zeitgenössischen Musik: nicht aus Pflicht, sondern aus Neigung. Die Jahre als Generalsekretär der Wiener Konzerthausgesellschaft haben ihn gelehrt, dass man das Publikum neugierig machen muss – und auch kann: mit einem interessanten Programm und namhaften Interpreten. Statt eines nochnoblen Musica-viva-Ghettos will Pereira jedoch die Integrierung heutiger Musik in das klassisch-romantische Erbe (und vice versa). „Man muss die Hörfähigkeit des Publikums verbessern“, sagt er. „Unser Auge ist weit toleranter als unser Ohr, wir kommen mit der bildenden Kunst unserer Tage leichter zurecht als mit der Musik.“
Revolutionär ist Pereiras Devise „Nur Premieren“: „Das Publikum weiß um die Einmaligkeit der Festspiele. Wer jetzt nicht kommt, wird in Salzburg keine Chance haben, die Zauberflöte wieder mit Harnoncourt am Pult zu erleben.“
Alexander Pereira weiß, dass die Menschen nicht nur kommen, um zu sehen, sondern auch um gesehen zu werden. Deshalb lädt er die Reichen und die Schönen zu einem Festspielball. Der Überschuss daraus könnte die Opernnovitäten der kommenden Jahre finanzieren. Die Herren Kompositeure Mar-André Dalbavie, György Kurtág, Thomas Adès und Jörg Widmann stapeln schon das Notenpapier. (Klaus Adam)

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