Kultur

Felix Burleson als Spielleiter ist der einzige, der keine Maske trägt. Obwohl er fast nichts sagt, hat er eine beeindruckende Präsenz. Foto: JU/Ostkreuz

17.10.2014

"Ich befehle Ihnen, schwarz zu sein!"

Genets "Die Neger" an den Münchner Kammerspielen

Daniel Düsentrieb hat es schon gewusst: „Zwischen Wahnsinn und Verstand ist nur eine dünne Wand.“ Daran halten sich diesmal die Münchner Kammerspiele: Vom Schnürboden hängt eine riesige weiße Papierfahne herab: Ein unbeschriebenes Blatt, das vielfach senkrecht aufgeschlitzt ist, als wäre Lucio Fontana am Werk gewesen – oder ein perverser Papier-Lustmörder. Gelegentlich werden zartbunte Schatten-Figuren in Lila, Gelb und Grün auf den Papier-Paravent geworfen, die für poetischen Schäferspiel-Zauber zwischen Rokoko- und Pop-Anmutung sorgen.
Solche Ästhetisierungen sind die einzige Frechheit, die sich Johan Simons leistet. Der Kammerspiel-Intendant inszenierte Jean Genets Ethno-Farce Die Neger (1959) so brav-solide, als sei es schon genug, dass der Titel heute vielen als Provokation erscheint.
Sind die Zeiten, da das Theater für Tabubrüche und Unangepasstheit zuständig war, also vorbei?
Dabei ist Genets „Clownerie“, wie der Autor sie nannte, alles andere als rassistisch. Sie ist eine komplexe Spiel-im-Spiel-Konstellation, bei der eine Gruppe Schwarzer vor einem weißen Hofstaat ein Stück aufführt, das den Ritualmord der Neger an einer weißen Frau darstellt.
Es soll also die dümmlichen Vorurteile und Klischees der Hofgesellschaft über Neger als barbarische Menschenfresser bestätigen: „Wir müssen uns die Missbilligung der Weißen gewinnen“, ruft der Spielleiter seiner Truppe zu, weil die Schwarzen viel zu normal agieren. Also treibt er sie immer wieder an, entmenschte Wilde darzustellen, die dem Zerrbild entsprechen, das sich herrschaftliche Zuschauer von ihnen machen: „Die Neger sollen sich vernegern; ich befehle Ihnen, schwarz zu sein!“
Im Grunde geht es bei Genet nicht um Rassismus, sondern um jede Form von Rechtfertigungs-Ideologie, mit der die Beherrschung der Unterdrückten legitimiert wird: Unsere „Neger“ heute sind nicht mehr die Schwarzen, sondern vermeintliche Hartz-IV-Schmarotzer oder „Faulenzer“-Griechen, die von der landläufigen Propaganda vorgeführt werden.
Solche Zusammenhänge sichtbar zu machen, die das Wesentliche des Stücks wären, versäumt Simons, indem er es in eine abstrakt-unverbindliche Puppenwelt verlegt, aus Angst davor, dass sich Blockwarte der political correctness schwarz ärgern könnten: Je nach der Hautfarbe, die symbolisiert werden soll, tragen die Akteure weiße oder pechschwarze Eierschalen über dem Kopf, die teils an Fechtermasken erinnern, teils an Mickymäuse.
So tapsen und purzeln diese Eierköpfe den ganzen Abend um eine Altar-artige Bahre herum. Darauf liegt die Leiche der gemeuchelten weißen Frau: Eine naturalistisch nachgebildete Nackte aus Wachs, die, buchstäblich hingegossen, den Zuschauern ihren Hintern entgegenreckt – und während der Vorstellung deutlich tropfend vor sich hin schmilzt. Fürs Publikum war Simons’ Theater-Denkmalpflege hingegen nicht grade zum Dahinschmelzen. (Alexander Altmann)

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