Kultur

„Face Farces“ nennt Rainer seine Überzeichnungen von Fotoporträts, hier Krass von 1971/73. Foto: Zahornicky

11.06.2010

Im Gespräch mit Alten Meistern

Die große Retrospektive zu Arnulf Rainer in der Alten Pinakothek hält einige Überraschungen bereit

Auf den ersten Blick wirken sie wie zugekleistert. Die großen, oft kreuzförmigen Bildtafeln Arnulf Rainers scheinen geradezu versiegelt von düsteren Farbschichten, die sich auf ihnen zum Relief verkrusten. Abweisend, verschlossen sind diese abstrakten Kruzifixe und Andachtsbilder, und doch gellt dem Betrachter aus ihnen ein stummer Schrei entgegen, erweist sich ihre „geteerte“ Oberfläche als klaffende Wunde. Denn die dunkle Farbsoße, in der alles zu ersticken scheint, ist nur die extremste Form einer bildnerischen Ästhetik, die in der Neuzeit immer dominierender wurde und im 20. Jahrhundert im Expressionismus kulminierte: Rainers Übermalungen sind die äußerste Konsequenz einer gestischen Malerei, die im Pinselduktus ganz unmittelbar subjektive Bewegtheit aufs Bild bannt. Der insistierende, an mystische Entgrenzungs-Exerzitien gemahnende Farbauftrag Schicht um Schicht, der ansatzweise wie eine moderne Variante Rembrandt’scher Malerei erscheint, ist nämlich nicht einfach nur Manifestation meditativer Verinnerlichung, wie gerne behauptet wird. Vielmehr merkt man ihm die Aggression, den destruktiven Impuls noch an, aus dem er erwächst, um ihn in einem schmerzhaften Prozess zu übersteigen und gerade daraus seine Dringlichkeit zu gewinnen. Denn im Werk Rainers, der als einer der wichtigsten Künstler der Gegenwart gilt, existiert stets beides parallel: Die großen, monochromen Übermalungs-Kreuze einerseits und Arbeiten wie das Insektenmännchen mit ihrer nervösen, grell-zerrissenen Gestik andererseits, die, wie in der Zeichnung Blume, zu jener bohrenden Konzentration drängt, die schließlich in die gärende Monumentalität der Rainer-Ikonen überspringt. Wie eng also die individuelle Gebärde mit ihrem scheinbaren Gegenteil, einer allgemeinen, überpersönlichen Bild-Artikulation zusammenhängt, ja diese aus sich hervortreibt, kann man jetzt in der imposanten Arnulf-Rainer-Retrospektive studieren, die dem österreichischen Über-Maler unter dem Titel Der Übermaler anlässlich seines 80. Geburtstages (im vergangenen Dezember) in der Münchner Alten Pinakothek gewidmet ist und sein Werk von den 50er Jahren bis zur Gegenwart vorstellt. Bisher wurde nur Cy Twombly (aus nicht ganz verständlichen Gründen mit seinen Plastiken) die Ehre zuteil, sich als lebender Künstler ausführlich in den „heiligen Hallen“ präsentiert zu sehen, wo die Alten Meister zuhause sind. Bei Arnulf Rainer wirkt diese Nobilitierung durch den Ausstellungsort angemessener. Zumindest die besten seiner Gemälde und Zeichnungen legen in den altehrwürdigen Sälen einen ziemlich souveränen Klassiker-Auftritt hin. Neben den Kreuzbildern werden da auch wichtige andere Werkgruppen aus Rainers Œuvre präsentiert. So der Hiroshima-Zyklus von 1982 oder die Face Farces genannten grotesken Überzeichnungen fotografierter (Selbst-)Porträts aus den 70er Jahren. Weil die Mehrzahl der rund 130 Exponate aus dem Besitz des Künstlers stammt und teilweise noch nie öffentlich zu sehen war, hält die Schau viele wunderbare Überraschungen bereit. (Alexander Altmann)

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