Kultur

Natalie Hünig spielt Baal als brutalen, asozialen Rumtreiber. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

08.03.2019

Im Himmel der Abgefahrenen überlebt der Punk

In Augsburg ist Brechts „Baal“ eine Frau

Am Ende, nach etwas mehr als zwei aufreibenden, pausenlosen Stunden, in denen auf der Bühne im wahrsten Sinn des Wortes der Punk abging, lässt der Augsburger Baal, den das Staatstheater im Kontext des Brechtfestivals produzierte, die Goldglitter-Bombe platzen, zeigt ein letztes Mal provokant und lasziv den Stinkefinger. Baal überlebt im Himmel der Abgefahrenen.
Was ist das nur für ein grauenhafter Typ, dieser Baal? Bertolt hat ihn sich 1918 in 24 Szenen von der Seele geschrieben als einen von sich, seiner Lust und seinen Versen berauschten Anarchisten. Ein asozialer Rumtreiber in einer asozialen Welt, der skrupellos (Jung-)Frauen verschleißt, der sich derart animalisch, saufend und singend in Kaschemmen und Wäldern rumtreibt, seinen geliebten Freund Ekart absticht und sich am eigenen Ende als „lieber Baal!“ verabschiedet. Total radikal zieht er eine Schneise der Verwüstung nach sich, macht alles kaputt, „was euch kaputt macht!“, wie der Song der Band Ton, Steine, Scherben vorgibt.

„Naive Brechttexte“

Und damit sind wir gut 100 Jahre später mittendrin in der Inszenierung von Mareike Mikat, die ihren Baal zunächst geschlechtsumwandelt beziehungsweise von einer Frau darstellen lässt. Konsequenterweise schlüpfen die wandlungsfähigen fünf männlichen Mitspieler (Gerald Fiedler, Andrej Kaminsky, Roman Pertl, Patrick Rupar, Daniel Schmidt) in die Kleider und Rollen der im Werk auftretenden Frauenfiguren.
Zu unvorstellbar schien es der Regisseurin, so ist im Programmheft nachzulesen, einer Schauspielerin das exakte „Wie“ dieser „naiv und unterwürfig daherkommenden“ Brechttexte plausibel zu machen. So wurde Baal zur Frau, wurde zur verzweifelt um sich schlagenden, selten verletzlich wirkenden Künstler-Skandalfigur, der der eigene Anspruch, sich mit aller Gewalt von der Masse und dem Mainstream abzusetzen, ebenso zum tödlichen Verhängnis wird wie ihr Ikonendasein.
Längst wissen wir, dass im Theater experimentiert und interpretiert werden darf, wenn’s der Sache, sprich dem Stück dient und im besten Fall konzeptionell und dramaturgisch aufgeht und dem Zuschauer die verträgliche Dosis Denkanstöße mitgibt. Für „den“ oder „die“ Baal fand Mareike Mikat in der rundum elektrisierenden, blondmähnigen, wendigen, fantastisch singenden und sicher „nur rein zufällig“ an Kurt Cobain erinnernden Schauspielerin Natalie Hünig die Idealbesetzung, die den Laden rockte.
Baal also befindet sich bald samt abgefuckter Band ziellos „on Tour“ in ein Nirvana, in dem man sich nicht länger freiwillig aufhalten wollte. Für die dort stattfindenden, von Weltekel und Menschenmissachtung geprägten Begegnungen stellt Bernd Schneider (Bühne und Kostüme) die stimmige, kalte und gleichzeitig flexibel bespielbare Kulisse samt schnell verworfenem Brecht-Vorhang zur Verfügung. Fraglos profitiert die Inszenierung in weiten Teilen von dem großartigen „Baal-Sound“, der Brüche zulässt, clever Bekanntes mit Neuem mischt und von der Baal-Ensemble-Band ausgesprochen gut und live interpretiert wurde. Langer Applaus. (Renate Baumiller-Guggenberger)

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