Kultur

Die gemeuchelte Krankenschwester (Luise Deborah Daberkow) erscheint munter singend Johann Wilhelm Möbius (Jakob Immervoll), der behauptet, immerfort König Salomo zu sehen. (Foto: Arno Declair)

24.05.2019

Irre komisch

Zwischen Revue und Karikatur: Das Münchner Volkstheater reanimiert Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“

Der eine hält sich für Sir Isaac Newton, der andere für Albert Einstein, und dem Dritten erscheint immer der König Salomo persönlich. Nun wäre das alles halb so wild, wenn diese drei Physiker, die in einer Irrenanstalt leben, nicht nacheinander drei Krankenschwestern, nämlich ihre Betreuerinnen, abmurksen würden.

Vor 30, 40 Jahren hätte jeder Gymnasiast sofort gewusst, von welchem Drama hier die Rede ist, aber wie sagt schon der weise König Salomo: Alles hat seine Zeit. Und das gilt natürlich auch oder besonders für Theaterstücke. Friedrich Dürrenmatts Irrenhausgroteske Die Physiker (1961) hatte ihre Zeit etwa vor einem halben Jahrhundert. Ganz im Bann der Atombombe – der ja immer noch nicht gebrochen ist – stellte das Stück damals die Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft für das, wozu ihre bahnbrechenden Erkenntnisse in der Praxis benutzt werden.

Neuerdings kommen Die Physiker gelegentlich doch wieder mal auf den Spielplan. Sollte ihre Zeit vielleicht noch nicht vorbei oder wieder neu angebrochen sein – und wenn ja, warum?

Lauter schräge Vögel

Eine Antwort darauf gab es zwar nicht im Münchner Volkstheater, wo Hausregisseur Abdullah Kenan Karaca dieses Musterbeispiel des absurden Theaters auf die Bühne brachte. Aber immerhin war es ein vergnüglicher Abend, eine Art irrwitzige Idylle. Denn Karaca kümmerte sich weniger ums Fundamentale oder die großen Zusammenhänge, sondern griff einfach in seine gut gefüllte Kiste voller Einfälle. Bei ihm geriet die Forscherfarce zum saftigen Zwischending aus Revue und Karikatur.

Eine Schau ist bereits das Bühnenbild von Vincent Mesnaritsch: ein Guckkasten aus mehreren gestaffelten Rahmen, die leicht schräg ineinander gekantet sind. Genau das richtige Setting für ein Stück, in dem ausnahmslos schräge Vögel auftreten. Die Irrenärztin Fräulein Doktor von Zahnd etwa, eine Rolle, die seit der Uraufführung von Therese Giehses Interpretation geprägt wurde, ist bei Carolin Hartmann eine leicht verpeilte Diva im hoch geschlitzten Rock, die gerne mal mit Rüschenschleppe daherrauscht und als Diseuse alter Schule ein Lied zum Besten gibt.

Sozusagen irre komisch wirkt auch Pascal Fligg als verdutzter Kriminalinspektor, der aus der realen Welt in das surreale Seelensanatorium von Fräulein Doktor hineinschneit, aber, irritiert durch die Irren, bald selber nicht mehr weiß, wer hier gaga ist: er oder die anderen.

Und die verrückten Physiker endlich, dezidiert gegen die Rollen besetzt, sind bei Mauricio Hölzemann, Vincent Sauer und dem herausragenden Jakob Immervoll blutjunge Grischperl mit Augenringen, denen man wirklich nicht zutraut, dass sie es schaffen, eine stämmige Krankenschwester abzumurksen, wie sie von Luise Deborah Daberkow schön handfest verkörpert wird. Die Szene ist buchstäblich eine Mordsgaudi, denn sie wird wunderbar grotesk übertrieben als Schattenspiel in einer blutroten Kreisfläche dargestellt, wobei der Täter auch noch zum Messer und gar zur Kettensäge greifen muss, um sein schauerliches Metzelwerk zu vollbringen. Prompt taucht die Gemeuchelte kurz darauf als vitales Gespenst aus einer Bodenluke wieder auf und schmettert so stimmgewaltig Edith Piafs Klassiker Non, je ne regrette rien, dass sie verdienten Szenenapplaus einheimst. Ob das eine Metapher sein könnte für die Wiederauferstehung von Dürrenmatts Stück? Die Antwort kennt wohl auch nur der König Salomo. (Alexander Altmann)

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