Kultur

Seit drei Jahrzehnten kommt Louis Sneh jährlich einmal aus Amerika zurück nach Seeshaupt und fährt in S-Bahnen und Regionalzügen die Strecke des „Todeszuges“ ab. In Walter Steffens Dokumentarfilm erzählt er, was er damals als 17-Jähriger während dieser Irrfahrt erlebte. (Foto: Steffen)

08.04.2011

Irrfahrt durch Oberbayern

Walter Steffens Dokumentarfilm "Endstation Seeshaupt" zeichnet ein tragisches Ereignis aus dem Jahr 1945 nach

Insgesamt 22 identische Bronzedenkmäler von Hubertus von Pilgrim markieren die Strecke des Todesmarsches, auf der im April 1945, als die Amerikaner anrückten, SS-Wachmannschaften Tausende von Häftlingen aus dem KZ Dachau Richtung „Alpenfestung“ trieben. Wer von den unterernährten und unzureichend bekleideten Häftlingen wegen Entkräftung oder Krankheit nicht Schritt halten konnte oder fliehen wollte, wurde ermordet. Man braucht nur eines dieser Denkmäler genauer anzusehen, um das Elend der Opfer zu spüren.
Es gab in jenen Tagen auch eine Todesfahrt in einem kilometerlangen Güterzug. Dessen Geschichte zeichnet Walter Steffen in dem eindringlichen Dokumentarfilm Endstation Seeshaupt nach, der am 21. April in den Kinos anläuft.
Die Fahrt nahm ihren Ausgang im KZ-Außenlager Mettenheim bei Mühldorf am Inn. Dort wurde ab Sommer 1944 von der „Organisation Todt“ ein gewaltiger unterirdischer Bunker zum Bau des Düsenflugzeugs Me 262 angelegt. Zum Schleppen der Zementsäcke und zum Biegen der Eisenstäbe für die Betonarmierung wurden aus Dachau Häftlinge dorthin verlegt. Meist waren es Juden aus Ungarn, aber auch kleinere Gruppen aus Litauen, Italien, Frankreich und Griechenland. Wer an dieser Bunkerbaustelle täglich zwölf Stunden lang im Eiltempo schuften musste, hatte eine Überlebenserwartung von maximal zwei Monaten.
Unter den etwa 4000 Häftlingen des Todeszuges befand sich auch der heute wegen seiner unermüdlichen Aufklärungsarbeit bekannte Max Mannheimer (91). In seinem Späten Tagebuch beschreibt er kurz diese Fahrt. Sie führte zunächst zum Münchner Südbahnhof. In Poing schien die Befreiung der Häftlinge schon zum Greifen nahe, nachdem die Bewacher erstmals in Feindeserwartung getürmt waren. In München wurde dann der Zug in zwei Hälften geteilt – der Isarhang war so steil. Dann ging es weiter über Beuerberg nach Bichl bei Kochel, zurück über Penzberg nach Tutzing und – zumindest für einen Teil der Zuginsassen – wieder gen Süden nach Seeshaupt. Nach fünf Tagen Irrfahrt, meist ohne Essen und Trinken, befreiten amerikanische Soldaten am 30. April 1945 die Zuginsassen. Sie wurden in Häuser des Ortes einquartiert, ihnen waren drei Tage lang Plünderungen erlaubt, damit sie sich mit dem Nötigsten versorgen konnten.
Eben deshalb kam es in Sees-haupt zu einer heftigen Kontroverse, als man 1994 die Errichtung eines Denkmals zur 50. Wiederkehr dieses Ereignisses plante. Doch heute ist man dort über diesen Klärungsprozess und die aus Schrott und Folterwerkzeugen zusammengesetzte Erinnerungsstele Jörg Kicherers mehrheitlich einig.
Ein anderer Überlebender dieses Todeszuges ist Louis Sneh. Seit 30 Jahren kommt er regelmäßig von seinem jetzigen Wohnort Santa Monica in Kalifornien nach Seeshaupt, um dort seiner „Wiedergeburt“ zu gedenken. Er ist es auch, der im Film Endstation Seeshaupt den Zuschauer auf eine Fahrt auf diesem Leidensweg mit der S- und Regional-Bahn mitnimmt und währenddessen von den damaligen Ereignissen erzählt. An den einzelnen Stationen berichten einige der noch lebenden Zeitzeugen über ihre Eindrücke und Erlebnisse jener Tage. Fast einmütig gestehen sie, dass dieser für alle Anwohner unübersehbare Todeszug jahrzehntelang totgeschwiegen wurde. Dass die Erinnerung an diese grauenvollen Ereignisse wieder geweckt wurde, ist dem Engagement ambitionierter Vereine, Schulen und einiger Einzelpersonen zu verdanken. (Lothar Altmann)

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