Kultur

Provokant ist Susanne Kunkels „war rug: Abu Ghraib“: Sie zitiert das Foto eines Gefolterten (Ausschnitt). (Foto: Martin Droschke)

19.06.2020

Kalt bearbeitet

Das Museum für Europäische Glaskunst in Rödental zeigt neue Interpretationen der Gravurtechniken

Wer ein Werkstück durch die Technik des Gravierens verschönert, so ist es allgemein bekannt, bringt auf seiner Oberfläche durch druckvolles Ritzen, Stechen, Schaben oder Kratzen Bilder, Ornamente oder eine sonstige Verzierung an. Weit gefehlt! Zumindest, was Glas betrifft. Hier muss man sich im Kopf frei machen, in fließenden Übergängen etwa zur Emailkunst denken. Wie weit sich die Grenzen verschoben – oder besser: aufgelöst – haben, demonstriert die Sonderausstellung Gravur – Back on Tour im Museum für Europäische Glaskunst in Rödental bei Coburg.

Wenn die in Tampere, Finnland, lebende Ella Vario eine dickwandig geblasene, orange Vase mit einer Schlange bemalt und das Ganze dann mit einem Überfang, einer Schicht transparenten Glases, überzieht, arbeitet sie mit einem Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten Verfahren namens Graal-Technik. Dem internationalen Glass Engraving Network zufolge, einer Vereinigung aus über 40 führenden Glaskünstler*innen, deren Mitglieder die Schau bestückt haben, handelt es sich auch dabei um eine Gravur. Ebenso wie beim „Einschweißen“ eines Fundstücks aus rostigem Metall in Glas, um das die in Zwiesel lebende Alexandra Geyermann das Repertoire der Möglichkeiten erweitert hat.

Hohe Kunst des Schleifens

Gravur, so die erste überraschende Erkenntnis der aufgrund der Corona-Pandemie beinahe gescheiterten Übersicht über den aktuellen Stand dieser künstlerischen Gestaltungsdisziplin, fasst alle Techniken zusammen, mit denen sich der Werkstoff im kalten Zustand bearbeiten lässt. Hinter der provokanten Abweichung von der traditionellen Definition verbirgt sich das Ziel, die Vorstellung von einer nur fürs Einschleifen von Hochzeitsengelchen in Sektkelche geeigneten Gravur so weit aufzuwerten, dass sich die Kurator*innen relevanter Museen aus aller Welt in ihrem Urteil einig sind: Es handelt sich um eine innovative Ausdrucksform, und wer sie meisterhaft beherrscht, vermag ein künstlerisch hoch wertvolles Statement zu setzen.

Am weitesten geht dabei die im unterfränkischen Karlstadt beheimatete Susanne Kunkel mit der Arbeit war rug: Abu Ghraib. Kunkel zitiert die für den Historismus typischen, bunten Mosaik-Fenster, die einem Heiligen huldigen. An die Stelle eines geschundenen christlichen hat sie einen Märtyrer aus dem Kontext jenes Leides gesetzt, das die Machtpolitik der westlichen Welt in die muslimische Hemisphäre hinzutragen nicht müde wird: das Bild des von der US-Army im Gefängnis Abu Ghraib mit Elektroschocks gefolterten irakischen Kommunalpolitikers Ali al-Qaisi, das 2004 um die Welt ging.

Rätselhafte Botschaften

Wie bei so vielen musealen Sonderausstellungen, droht die 2013 gegründete internationale Künstlergruppe Grass Engraving Network auch in Rödental mit ihrem Ansinnen zu scheitern. Denn wer nicht zum kleinen Kreis der Expert*innen zählt, wird sich schwer tun, die Objekte und ihre Botschaften zu deuten. Um in ihnen mehr als mal schöne, mal kuriose, mal dem Auge – warum auch immer – nicht so recht schmeicheln wollende, meist zweckfreie Dinge erkennen zu können, ist Wissen über die technischen Winkelzüge ihrer Herstellung und ihren Kontext vonnöten. Ein Problem, das der englischsprachige Ausstellungskatalog alleine nicht lösen kann, das allerdings dem Museumsteam durchaus bewusst ist: Eigentlich wollte es ihm von Anfang an offensiv begegnen, durch die Pandemie musste man das Aufklärungswochenende, an dem zahlreiche Mitglieder des Grass Engraving Network ihre Techniken live vorführen, auf das Ende der Schau, den 7. und 8. November, verschieben. (Martin Droschke)

Information:
Bis 8. November. Europäisches Museum für Modernes Glas, Rosenau 10, 96472 Rödental. Täglich 9.30-13 Uhr und 13.30-17 Uhr. www.kunstsammlungen-coburg.de

Abbildung:
Ihre Vase gestaltete Ella Vario in der Graal-Technik. (Foto: Martin Droschke)

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