Kultur

13.04.2012

Kompromiss und Konflikt

Valery Gergievs Schostakowitsch-Zyklus in München

Es ist nicht unproblematisch, wenn ein bekannter Dirigent Wahlkampf für Wladimir Putin betreibt. Denn Putin hat Stalin in Russland wieder schick gemacht: In den vergangenen Jahren wurden Denkmäler errichtet, die den sowjetischen Diktator und Massenschlächter ehren. Selbst an Schulen und im Fernsehen wird Stalins Terror relativiert. Und wie die Sopranistin Anna Netrebko hat auch der Dirigent Valery Gergiev bei der jetzigen Präsidentenwahl eifrig die Werbetrommel für Putin gerührt.
Seit 1988 leitet Gergiev das Petersburger Mariinski-Theater. Mit den Münchner Philharmonikern und den Ensembles seines Hauses realisiert er gegenwärtig im Gasteig den ersten bayerischen Zyklus aller Sinfonien von Schostakowitsch. Das Brisante: Unter Stalin war Schostakowitsch lebensbedrohlichen Attacken ausgesetzt. Noch in den 1990er Jahren hatte Gergiev in einem Film dieses düstere Kapitel aufgearbeitet, heute ist seine Haltung offenbar eine andere. Jedenfalls hat er in den Konzerten vor Weihnachten und Ende März einige brisante, wichtige Details geglättet.
Das galt gerade für die Sinfonien Nr. 5 und 13, die eine dezidiert kritische Haltung einnehmen. Da ist die Finalapotheose aus der Fünften von 1937, mit der sich Schostakowitsch mitten in Stalins Terror und der Kulturrevolution rehabilitieren musste: Unentwegt hämmert das Klavier ein und denselben Ton – der berühmte Cellist Mstislaw Rostropowitsch sprach einst von „Lanzenstichen in die Wunden eines Gepeinigten“. Grell schmettert das Blech groteske Fanfaren, stumpfsinnig schlägt die Pauke immerzu die Quarte. Unter Gergiev waren die Lanzenstiche des Klaviers gar nicht zu hören, und über den herausgeprügelten Jubel ist er hinweggefegt. Dieses Finale war affirmativ, die Doppeldeutigkeit blieb völlig verschüttet.
Auch in der 13. Sinfonie von 1962 mit Männerchor und Bass-Solisten (Mikhail Petrenko), die Verse von Jewgeni Jewtuschenko vertont, blieb ein schaler Nachgeschmack. Das Werk prangert nicht nur den Antisemitismus an, sondern rechnet im „Ängste“-Satz mit dem Stalinismus ab. Auch in diesem abgründigen Largo nahm Gergiev das Tempo zu schnell, und mit der todesdüsteren 14. Sinfonie für Sopran (Olga Sergeeva) und Bass (Petrenko) konnte er gar nichts anfangen.
Wie dieses Werk – es vertont Todesgedichte von Rilke, Apollinaire, Lorca und Küchelbecker – klingen sollte, offenbarte sich Mitte März: Unter Daniel Grossmann gab das Jakobsplatz-Orchester in München die Vierzehnte zum Besten. Zudem verlebendigten die Solisten Sergei Leiferkus und Tatiana Pavlovskaya beispielhaft die Worte. Für das kleine Orchester wurde diese Aufführung ein Triumph, was für Gergiev umso peinlicher sein muss.
Dafür hat Gergiev in der 2. und 3. Sinfonie mustergültig durchdrungen, wie avantgardistisch der junge Schostakowitsch in den 1920er Jahren war. 30 Jahre vor György Ligeti komponierte er hier komplexe Klangflächen und nahm die Stilcollagen von Alfred Schnittke vorweg. Auch in der 8. und 12. Sinfonie präsentierte sich Gergiev endlich als Schostakowitsch-Kenner. (Marco Frei) (Weitere Termine: 5. und 6. Mai: Sinfonien Nr. 6 und 10, 9 und 7/ 18. und 19. Juli: Sinfonien Nr. 11 und 15)

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