Kultur

Die Erlanger Inszenierung von "Atmen" präsentiert mit atemloser Rasanz, einen bis zum Aberwitz gesteigerten Wortwitz und einen atemberaubenden Bühnen-Aktionismus. (Foto: Ludwig Ohla)

26.09.2014

Küchendampf und Kinderwunsch

Die Zeitgeistsatire "Atem" am Theater Erlangen

Die Welt steht am Abgrund – und die Menschheit stürzt sich sehenden Auges hinein! Sieben Milliarden Menschen bevölkern die Erde und bei der derzeitigen Geburtenrate von 2,6 Kindern pro Sekunde werden es bald zehn Milliarden sein, obwohl andererseits täglich 30 000 Kinder weltweit verhungern.
Es wird eng auf dem Planeten, den Natur-, Kriegs- und Klimakatastrophen zusehends verwüsten, auf dem die Trinkwasser- und Nahrungsreserven langsam knapp werden und die Rohstoff- und Energiereserven bald zu Ende gehen. Ein ernstes Thema also, das der britischen Dramatiker Duncan Macmillan zwar nicht auf die leichte Schulter nimmt, das ihm aber den Stoff für seine wunderbare Zeitgeistsatire Atmen liefert, mit der das Theater Erlangen jetzt die neue Spielzeit eröffnete.
Für ihre Inszenierung ließen sich Regisseur Max Claessen und seine Bühnenbildnerin Lisa Busse für die zur Arenabühne umgebaute und von zwei sich gegenüberstehenden Zuschauerreihen einsehbare Bühne des Garagentheaters, gleichsam als Gimmick, ein weiß gestyltes Küchen-Ambiente einfallen; und darin bereitet sich ein nicht minder lifegestyltes Paar, der Mann (Daniel Seniuk) und die Frau (Janina Zschemarnig), vom Anfang bis zum Ende der satirisch zugespitzten Humoreske nicht etwa symbolisch, sondern ganz echt mit kochenden Wasserkesseln auf dampfenden Herdplatten ihr natürlich biokostgesättigtes Essen – vom Frühstück bis zum Mittag- und Abendessen.
Und fragen sich dabei – als modernes, cooles, unverheiratetes, Müll trennendes, umweltbewusstes und ökologisch korrekt denkendes und handelndes Paar – in endlosen Dialogen, ob man angesichts dieser Situation wirklich noch ein Kind haben darf, das im Laufe seines Lebens mit 10 000 Tonnen an CO2 das Weltklima noch mehr verschlechtern wird.

Bis zum Aberwitz gesteigerter Wortwitz


Im Eilzugstempo hangeln sich die beiden dauerredenden und sich permanent missverstehenden Öko-Junkies durch Kinderwunsch und Fehlgeburt, Beziehungskrisen, Seitensprünge, Sex und Liebe, Trennung, Wiederfindung und Heirat bis zur nächsten, diesmal klappenden Geburt eines Kindes durch, bis die endlosen Zwiegespräch im Monolog der Frau am Urnengrab des Manns und einem aufseufzenden „Ich liebe Dich!“ zu enden.
Den Schnelldurchlauf für zwei „Gutmenschen“, die mit ihren rhetorischen Kopfgeburten vom Hunderdsten ins Tausendste kommen und vom „Kind“ bis zum „Kosmos“ das Leben an sich und ihre eigenes ganz besonders und mit vielen Skrupeln selbstreferentiell rationalisieren und reflektieren. Dies präsentiert die Erlanger Inszenierung von Atmen mit atemloser Rasanz, einem bis zum Aberwitz gesteigerten Wortwitz und einem atemberaubenden Bühnen-Aktionismus. Dabei kommt das Publikum kaum zum Durchatmen und ab und zu verliert es wohl auch den (Handlungs-)Faden.
Aber vielleicht belohnte es gerade deswegen diesen auf der Bühne wie im Zuschauerraum anstrengenden, aber rundum gelungenen Spielzeitauftakt mit begeistertem Beifall. (Friedrich J. Bröder) (Frau - Janina Zschernig - und Mann - Daniel Seniuk - im Stück "Atem" - Foto: Ludwig Ohla)

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