Kultur

Im äußersten Fall führt Rache zum Mord – hier dramatisch im Tanz von Karen Mesquita dargestellt; am Boden Tjark Bernau. (Foto: Konrad Fersterer)

17.02.2023

Lauter Rachegelüste

Thomas Köcks „vendetta vendetta“ am Staatsschauspiel Nürnberg thematisiert Alltagswut

Alle Achtung: mit 35 Jahren gut 20 Theaterstücke geschrieben, von Hörspielen gar nicht zu reden. Wenn man allerdings die Textlänge und -menge sieht, die Thomas Köck etwa für vendetta vendetta ins Feld führt, dann reduziert sich die Bewunderung. Für die Inszenierung am Staatstheater Nürnberg (nach der Uraufführung 2022 in Leipzig) ist das aber kein Problem, denn der originale Köck wird mit Mozart, Kleist oder Wedekind aufgepumpt.

Und das aus gutem Grund. Es gibt im Programmheft nicht nur eine Liste der berühmtesten Rächer*innen der Menschheits- und Kulturgeschichte (von Kain und Abel bis zur Königin der Nacht), sondern am Ende von Köcks vendetta vendetta ist auch klar: Ein Großteil der abendländischen Kultur lebt von Rachegeschichten. Also sollte man sich schon auskennen in der Geschichte von Musik, Theater, Ballett und bildender Kunst.

Aber keine Angst, Schauspielchef und Regisseur Jan Philipp Gloger gibt schon vor dem eisernen Vorhang die Devise aus: Rache fängt nicht in der Bibel an, sondern wütet täglich auf dem Hausflur. Wo volle Müllbeutel beim Nachbarn auf dem Fußabtreter deponiert werden, eine Bananenschale drei Männer zu Fall bringt: Da gibt es – typisch für Köck: wortlos – einen Slapstick von nachbarschaftlichen Nickligkeiten und Rachegelüsten zum Wiedererkennen.

Komödiantischer Overdrive

Das spielfreudige Nürnberger Ensemble gibt das mit komödian-tischem Overdrive. Bis jemand zwischen Tür und Angel die Idee aufbringt, Rache habe auch immer etwas Mythisches. Dazu passt dann viel besser das Halbrund eines klobigen griechischen Theaters (Bühnenbild: Marie Roth), über das die düsteren Wolken der Rache ziehen. Und wo auch Platz ist für die Musik der Nürnberger Staatsphilharmonie, die Mozart im Quartett fidelt, auf der großen Trommel wummert und sogar Alban Berg spielt (musikalische Leitung: Kostia Rapoport). Oder die fabelhafte Andromahi Raptis eine messerscharf geschliffene Königin der Nacht unter Schinkels berühmtem Sternenhimmel singt.

Köck blättert auf, was es an Rache von der Genesis über die griechischen Philosophen bis zur klassischen Moderne gibt und wovon Kunst schon immer gelebt hat. Die Fragen gemäß dem Wo, Wer, Warum türmen sich, die Antworten sind meist blutig und mäßig unterhaltsam. Durchaus passend, aber auch langatmig darf Michael Kohlhaas die Geschichte von den beiden Rössern und seiner Lisbeth erzählen, kurz und bündig schießt Lulu ihrem Dr. Schön mitten ins Gemächt, auch das Arbeitsamt von Eckernförde kommt zu den Ehren eines Rachemythos. Genauso wie die Steinzeitmenschen im Kunstpelz oder die Balletttänzerinnen aus Eugen Onegin: Alles erscheint wie aus einem Zitatenschatz zum Thema Rache.

Das ergibt eine Vendetta-Performance, deren Endfassung offenbar erst in den letzten Proben ins Reine gebracht wurde. Man baute auch Aktuelles ein: „Die letzte Generation“ klebt sich an der Türklinke der Frau Nachbarin fest.

Zwischendurch denkt man daran, was für ein hinreißendes Theaterstück zum Thema Rache doch Yasmina Reza mit Der Gott des Gemetzels verfasst hat.
Immerhin kommt bei Köck dann auch die Frage: Wie kann man diesen fatalen Zyklus, der sich von Rachegelüsten speist, durchbrechen? Aber Johann Sebastian Bach ist noch in petto und gaukelt mit einer Kantate göttliche Harmonie vor – ist aber schnell wieder im Dunkel der Kakofonie verschwunden.

Am Ende murmelt eine Art Gerhard Polt auf Bairisch die Moral der Geschichte und irgendetwas von Kühen und der Mittelschicht. Letztlich bemängelt man aber, dass Köck und Gloger einen der großen Rächer der Neuzeit vergessen haben: Prinz Harry. (Uwe Mitsching)

 

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