Kultur

210 Gemälde, zu einer Rollenbibliothek arrangiert. Herausnehmen und studieren kann man sie nicht – nur virtuell lassen sie sich entrollen. (Foto: SMÄK/Marianne Franke)

10.08.2018

Lebendiger Wissensspeicher

Zygmunt Blazejewskis „Rollenbibliothek Anima Mundi“ im Ägyptischen Museum München

Da soll noch einer sagen, dass die Malerei in der Gegenwartskunst keine große Rolle mehr spielt. Zygmunt Blazejewski beweist unwiderleglich das Gegenteil. Er hat nämlich 210 exakt gleich große Gemälde geschaffen, nur um sie nach dem Trocknen zusammenzurollen und in diesem Zustand dann fein säuberlich in ein offenes Regal einzuordnen. Ist dieser Maler womöglich total von der Rolle?
Wer das glaubte, wäre eindeutig falsch gewickelt. Wie spannend nämlich das Konzept des 1953 in München geborenen Künstlers ist, davon kann man sich am passendsten Ort überhaupt ein Bild machen: im Ägyptischen Museum München, das seine Besucher quasi zu Rollenspielen der etwas anderen Art einlädt, wenn es Blazejewskis Installation Rollenbibliothek Anima Mundi („Seele der Welt“) präsentiert.
In einer schlichten Holzstellage von elf Metern Breite und sieben Metern Höhe lagern die gerollten Bilder. Auf den ersten Blick ist das eine erfrischende Farberuption angesichts all der erdigen Braun- und Grautöne, die im Ägyptischen Museum sonst dominieren. Aber natürlich denkt man in dieser Umgebung sofort auch an die Bildrollen der alten Ägypter, an die Schriftrollen, die bei Griechen und Römern die übliche Form des „Datenträgers“ waren, weil das gebundene Buch, der sogenannte Codex, noch der Erfindung harrte. Und vor allem denkt man unweigerlich an die legendäre Bibliothek von Alexandria, die mit ihren unzähligen Manuskriptrollen den größten Wissensspeicher der Antike darstellte.
Der nähere Blick auf die kleinen sichtbaren Segmente von Blazejewskis Gemälden macht dann sofort klar, dass wir es hier mit großartiger Kunst von heute zu tun haben. Mit Beispielen der „heftigen Malerei“, die durch ihren expressiven Gestus faszinieren, durch ihr strahlendes Kolorit und eine saftige Peinture mit mal lasierendem, mal pastosem Farbauftrag. Gerade weil diese Rollbilder wunderbar süffige, betont „malerische“ Kunst sind, sähe man sie gerne ausgerollt im Original vor sich. Ja es schmerzt buchstäblich, dass man stattdessen nur an zwei riesigen Schaltpulten hantieren darf, wo der Betrachter kleine digitale Abbildungen jeder einzelnen Rolle antippen kann. Daraufhin erscheint sie im ausgerollten Zustand als Foto auf einem Bildschirm oder per Beamer an die Wand projiziert.
So fortgeschritten die technische Reproduzierbarkeit heute auch sein mag – zum wirklichen Erlebnis von Malerei gehört immer deren im Wortsinn leibhaftige Präsenz, die Erfahrung des Materials, der ganz analogen Stofflichkeit, wie wir nicht erst seit Beuys wissen. Das macht Zygmunt Blazejewskis Installation gerade im Gemisch aus Andeutung und Verweigerung solcher Erfahrungen eindringlich bewusst, und insofern ist sie tatsächlich ein lebendiger Wissensspeicher. (Alexander Altmann)

Information: Bis 16. September. Staatliches Museum Ägyptischer Kunst, Gabelsbergerstr. 35, 80333 München. Di. 10-20 Uhr, Mi. bis So. 10-18 Uhr.

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