Kultur

Max Wagner zeigt Caligula als bizarren Schizo-Schocker. (Foto: Arno Declair)

08.05.2015

Leiche in Tutu

"Caligula" mutiert am Münchner Volkstheater zum sadistischen Flitzer

Splitternackt und erdverschmiert schleicht Caligula in seinen Palast zurück. Tagelang war er verschwunden, aus Gram über den Tod seiner Schwester, der das Wesen dieses römischen Kaisers verändert hat: Bislang ein milder Herrscher, wird er nun zum sadistischen Tyrannen. Wie ein verstörtes und lauerndes Tier steht dieser Flitzer im Caesaren-Amt unter dem funkelnden Kristalllüster in den edel verrottenden Prunkräumen, hinter deren Flügeltüren Spiegelwände den Weg versperren (Bühne: Anne Ehrlich).
Als zartbitterer Schizo-Schocker ist Albert Camus’ selten gespieltes Gedanken-Drama Caligula (1938) jetzt im Münchner Volkstheater zu erleben. Da sieht man einen Kaiser, der seine Berater, Dichter und Minister demütigt, indem er sie nur mit Dienstmädchen-Schürzen bekleidet rumlaufen lässt – oder im weißen Ballerinen-Tutu. Aber das ist noch das Wenigste. Denn dem einen ermordet er darüberhinaus den Vater, dem anderen den Sohn, und dem dritten nimmt er die Frau weg, um sie ins Bordell zu stecken.
Bei Erniedrigungs-Orgien führt der Tyrann, mit Strumpfmaske verhüllt wie ein Geiselnehmer, die geschundenen Paladine dann in eine Art Techno-Hölle, wo die Bässe so laut wummern, dass die Sessel im Volkstheater vibrieren und der Zuschauer am eigenen Leib eine Ahnung von Lärmfolter bekommt.
Verständlich, dass diese Höflinge konspirieren, um den Gewaltherrscher umzubringen – was dem sogar recht wäre. Dennoch scheitert die Verschwörung.
Lilja Rupprecht hingegen scheitert nicht, sondern hat es faustdick hinter den Ohren. Die 1984 geborene Regisseurin bettet diese drastisch illustrierte Geschichte vom Terror-Kaiser in eine klassizistische Ästhetik von herber Eleganz, sodass ein spannungsvoller Kontrast zum Exzess der Maßlosigkeit entsteht, der Gegenstand dieses Dramas ist. Sie entwirft Bilder von erlesener Schönheit und temperiert die Schauspieler auf ein leicht unterkühltes Pathos, als wär’s ein Stück von Racine.
Dementsprechend lässt auch Max Wagner in der Titelrolle den durchgedrehten Alleinherrscher nicht ausschließlich monströs erscheinen, sondern schafft es, dass aus diesem wahnhaften Idealisten des Nichts eine bizarre Extremform des Menschen herausschimmert – was Caligula erst richtig unheimlich macht, weil er so in gewisser Weise als einer von uns erkennbar bleibt.
Dieser Kaiser denkt nämlich nur das Prinzip Herrschaft zu Ende: Er macht das Experiment, die Macht in ihre äußerste Konsequenz zu führen, in die völlige Unbeschränktheit. Am Ende knallt er dann (fast) alle ab, nicht nur die Verschwörer, sondern auch seine Getreuen, und indem er auf sein Spiegelbild schießt, tötet er zuletzt sich selbst.
Aber daran erkennt man Klassiker, dass am Schluss lauter Leichen auf der Bühne liegen. Weil sie hier auch noch weiße Ballett-Röckchen tragen, wirkt dieses Tableau zu poetisch und kunstfertig, um wirklich tief ergreifend zu sein. Aber das gehört sich bei einem französischen Drama auch so. (Alexander Altmann)

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