Kultur

Thérèse Wincent als Magdalena und Gary Martin als Joseph Süß. (Foto: Hermann Posch)

09.03.2012

Machtgelüste und Intrigen bei Hofe

Erstaufführung von Detlev Glanerts Musikdrama "Jud Süß" am Münchner Gärtnerplatztheater

Schon der Eiserne Vorhang ist ein dramaturgisches Signal. Sieben der dreizehn pausenlosen Szenen spielen im Gefängnis, in dem sich der ehemalige herzoglich-württembergische Finanzrat Joseph Süß Oppenheimer an Stationen seiner Geschichte erinnert, die exemplarisch seit dem Mittelalter immer wiederkehrt: Erst brauchen Landesherr oder Stadt den Juden, seinen Kredit, seinen Ideenreichtum und sein Geld – und wenn all das aufgebraucht ist, dann findet sich schon ein irgendein Grund, sich des Juden zu entledigen.
So geschehen auch am 4.Februar 1738 vor den Toren Stuttgarts. Für den kometenhaften Aufstieg des intelligenten und ehrgeizigen Hofjuden hat Ausstatter Peter Sykora eine perfekte Bühnenlandschaft entworfen. Dunkle Wände kreisen, die mal das Gewirr für alle Hofintrigen, mal die Irrwege aller Machtgelüste sinnfällig machen.
Im Zentrum kehrt immer der im Text genannte „Saal in Gold“ wieder: eine Gefängniszelle aus Goldbarren. Dramaturgisch sinnfällig erhebt sich das geheim gehaltene Waldhaus von Süß mit seiner Tochter eine Etage über die Standesebene des adeligen Hofgesindels.
Und auch im Finale versinkt zunächst ein Teil des Bühnenbodens für den Abstieg des für alle Missstände der absolutistischen Misswirtschaft verantwortlich gemachten Juden. Doch zur seiner großen Klage hebt ihn ein Podium hoch über den degenerierten Adel. Dann senkt sich der schon die ganze Handlung über der Szene hängende Gitterkäfig herab, in dem die Leiche des Juden sechs Jahre lang hing (historisch verbürgt).
Dieses Schock-Element der Inszenierung ist auch eine Erinnerung an die zentrale Szene in Veit Harlans üblem Hetzfilm Jud Süß. In diesem Ambiente ließ Regisseur Guy Montavon in historisierenden Kostümen agieren, die charakterisierten und entlarvten: Die liebevolle Redlichkeit Magdalenas – der Tochter des intriganten Hofrats Weissensee, die sich in Süß verliebt – und die schlichte Reinheit von Süß’ Tochter Naemi im Kontrast zur den dekolletierten Hofdamen wie der eitlen Mätresse Graziella, die als Sängerin unbedingt eine finanziell ruinöse Oper in Stuttgart haben will und sie vom Herzog auch bekommt.
Herzog Karl Alexanders wilde Frauenjagd wird im Leopardenfell samt aufgesetztem Brusthaar unter dem höfischen Knierock konkretisiert, was Stefan Sevenich bis zum finalen Schlaganfall mit geradezu brünstigem Bariton und protziger Virilität erfüllte – ein greller Kontrast zum Schwarz des protestantisch-pietistischen Hofrats Weissensee (Mark Bowman-Hester) ebenso wie zum Rabbi Magus (Juan Gutiérrez), der Süß vergeblich zur Umkehr und schließlich zur Flucht mahnt.
Für all das hat Detlev Glanert ausgezeichnete Theatermusik komponiert, die Dirigent Roger Epple mit dem engagiert spielenden Orchester mal dramatisch tosen lässt, gipfelnd im Pogrom-Chor der Hinrichtung, aber auch fein konturierte, wenn Karolina Andersson als Graziella Koloratur-Tonketten überzeugend eitel vorführt. Für Süß’ Erinnerung an Magdalena und für die Sehnsucht Naemis nach dem Vater, gibt es weiche Melodien, zu denen die Walzer-Rhythmen der Hof-Tänze ironisch kontrastieren und von Saxophon und schriller Solo-Violine „entstellt“ werden. Das Schlagwerk ballt sich zu dramatischen Höhepunkten – und dann tönt aus den Streichern auch wieder ein fast an Gustav Mahler erinnernder Schmerzenston.
Beifall gab es für die beiden lyrisch überzeugenden Frauenstimmen von Thérèse Wincent(Magdalena) und Carolin Neukamm(Naemi) und vor allem für die differenzierte Süß-Studie von Gary Martin, der sowohl den Machtinstinkt eines Aufsteigers wie das Leid eines vorgeschobenen Schuldigen beeindruckend sang und gestaltete. (Wolf-Dieter Peter)

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