Kultur

High Noon im Hexenhaus. (Foto: David Baltzer)

25.02.2020

Märchenhafter Showabend

"Hunger und Gier" am Stadttheater Ingolstadt

So geht Märchen heute: Als Neudeutung eines alten Erzählstoffs in gegenwärtigem Gewand, als Spiegel für globale Entwicklungen. In Knut Webers und Walter Lochmanns Musikdrama Hunger und Gier, einer begeisternden Neudeutung des Hänsel und Gretel-Stoffs am Stadttheater Ingolstadt, wird aus dem Wald eine Müllhalde in Indien, wird aus der Hexe die Kommandantur des seelenlosen Raffens als Selbstzweck und wird aus der superarmen Familie eine extrem reiche, die über Leichen geht. Der Überfluss einer Inszenierung auf vielen Ebenen, mit phantastischen Filmeinspielungen, toller Musik voller Stilvielfalt, einer fulminanten Handlung voll Bühnen- und Kostüm-Zauber, einer Reise in die Phantasie und die Realität zugleich, geht hart ins Gericht mit dem Überfluss einer Konsumgesellschaft, die sich einen Dreck schert um die Folgen ihres Lebensstils. Das Publikum ist bei der Premiere deutlich berührt und dankt mit Ovationen.

Weber, der Intendant des Hauses, hat sich mit Hunger und Gier an eine Überschreibung der Humperdinck-Märchenoper Hänsel und Gretel gemacht und verbindet geschickt mehrere Handlungsstränge so ineinander, dass sie zuletzt auf Punkt und mit Biss aufgehen: Es geht um den Kampf Gut gegen Böse, es geht um Cum-Ex-Geschäfte, um den Handel mit seltenen Erden und um das globale Geschäft mit dem europäischen Müll. Darin eingebettet die zentrale Botschaft: Reichtum auf der einen Seite bedingt immer Armut auf der anderen. Wo auf der einen Seite Gier herrscht, herrscht auf der anderen Hunger. Diese Wachmacher-Erkenntnis wird erzählt anhand der Familie von Hänsel und Gretel, die in der Geschichte beispielhaft dasteht als Verkörperung von Rücksichtslosigkeit und Herzlosigkeit. Die beiden Kinder werden verstoßen, landen in Mumbai und wittern dort das große Geschäft mit europäischem Müll, angestachelt von einer fiesen Hexe.

Kevin und Tobias Schmelzer haben die Filmbeiträge gedreht, mit Wald und Wolf, aber auch inmitten der Slums von Mumbai, mit den Schauspielern und mit Kindern eines Sozialprojekts, die auf der Leinwand mitspielen, mitsingen, mittanzen. Zusammen mit eindrücklichen Werken des Lichtdesigns ergeben sich da vor, auf und neben der Bühne immer wieder Szenen zwischen Traum, Alptraum und Traumatischem, mit Menschen beispielsweise, die im Müll leben müssen, der auf einem anderen Kontinent entstanden ist. Dazu eine wilde Mischung mit prächtigen Kostümen auf einer doppelstöckigen Bühne (Ausstattung: Monika Gora), angeschoben von den lebhaften Kompositionen von Lochmann, die sich bewegen von Klassik über Blues bis Bollywood-Pop, plus präzise Live-Musik, Klangdesign von Jakob Dinkelacker und als emotionale Höhepunkte die Einsätze des Chors „Martin Singer“. Webers Inszenierung fährt alles auf, was sein Haus hergibt, gibt für kein Sekündchen nach, wird ständig mit nachwachsender Druckluft versorgt. Das ganze phantastische Ensemble von Musikern und Schauspielern garantiert einen märchenhaften, vieldimensionalen Showabend mit konsequenter Botschaft. (Christian Muggenthaler)

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