Kultur

Eine magische Szene mit Alpen-Titania (Wiebke Puls) und unglücklichem Liebhaber (Benny Claessens). (Foto: Julian Röder)

21.04.2011

Musikantenstadl des Wahnsinns

Feridun Zaimoglus "Alpsegen": ein Heimatabend für Besserverdiener

Von ferne her hört man Kuhglocken klingen, während sich eine groteske Bittprozession auf Knien durch den Bühnennebel schiebt. Im fahlen Licht kugeln da schnurrbärtige Bierdimpfel mit Lederhosen und Wadlstrümpfen herum, stürzen mit gefalteten Händen über die Rampe herab, und ein Posaunist trötet in Zeitlupe ein verzerrtes „Prosit der Gemütlichkeit“ dazu, indes von irgendwoher gedämpfter Bierzeltlärm tönt.
Dieses bizarre Pandämonium kobolzender Gamsbart-Irrwische und Panoptikumsgrantler, die lange Zöpfe als Krawatten tragen, geistert zu getragenen Jodlern durch ein surreales Ambiente im René-Magritte-Stil, wo sich barocke Puppentheater-Bühnenprospekte hintereinander staffeln. Hier schleppt eine dantschige Wirtin im Dirndl (Gundi Ellert) Maßkrüge herum, ehe sie auf einen Stuhl steigt, lasziv mit den Röcken wedelt und dazu in einem Mundart-Mantra den „Heiland“ anruft, als wär’ er ein Ölgötze.
Der absolute Star in diesem Musikantenstadl des Wahnsinns ist aber Michael Tregor, der als spindeldürrer Seppl eine urige Speisenfolge wie eine irrwitzige Rhapsodie deklamiert. Die erste halbe Stunde an diesem Theaterabend gerät so zum furiosen, hinreißenden Sommernachtstraum à la Bavaroise.
Kongenial hat Sebastian Nübling bei dieser Uraufführung in den Münchner Kammerspielen den Alpsegen anfangs in Szene gesetzt. Denn das jüngste Stück von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel ist eine Art magisches München-Märchen, das mit Zaubersprüchen oder heidnischen Ritual-Gesten die dämonisch-dunkle Rückseite dieser Stadt beschwört und älplerische Sagengestalten wie „die Mondhelle“ oder „die Weiz“ aus den archaischen Abgründen aller Bayern-Folklore hervorwabern lässt.
Schade nur, dass Nübling, der ausgewiesene Geisterseher unter den Regisseuren, diesen komisch-klammen Bayernspuk nicht durchhält. Vielmehr wird das hochgespannte, artifizielle (Alp-)Traumszenario plötzlich von spaßigem Boulevard-Realismus abgelöst: In den Episoden über einen Familienvater aus der Provinz, der mit einem schwulen Eisverkäufer nach München durchbrennt, um seine vermeintlichen homosexuellen Neigungen auszuleben, brillieren Jochen Noch und Kristof van Boven zwar als Edel-Knallchargen. Doch statt als burleskes Kontrastprogramm zu wirken, zerstört die Daily-Soap-Psychologie dieser Szenen den irrealen Zauber.
Und so schleppt sich der Abend über weite Strecken nur noch bemüht dahin – so als würde nach einem knusprigen Schweinsbraten ein fader Obazder serviert. Nur gelegentlich flackert noch einmal ironisch-synkretistische Magie durch die Szenen, etwa wenn Wiebke Puls als eine Art Alpen-Titania im Glockenrock auf pelzigen Bocksbeinen herumstakst und ihr unglücklicher Liebhaber (Benny Claessens) mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf sich im Nymphenburger Kanal ertränkt, um so vollends in die Geisterwelt zu seiner Geliebten hinüberzuwechseln. Richtig unheimlich ist das aber nicht mehr.
Der eigentlich geniale Versuch, gängigen Bayern-Klischees einen Drall ins Mythisch-Fremde zu geben, mündet in einen zähen Heimatabend für Besserverdiener. (Alexander Altmann)

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