Kultur

Was wurde schon spekuliert, wer der unbekannte Reiter ist! Neuester Forschungsstand: Es war der dritte der Heiligen Drei Könige, die Figur gehörte zu einem unvollendeten Lettner im Bamberger Dom. (Foto dpa)

22.05.2015

"Mut zu neuen Schlüssen"

Matthias Exner hat die Herausgabe des Inventarbands zum Bamberger Domberg betreut, der viel Neues und manche Provokation bringt

Der Bamberger Domberg war kirchengeschichtlich ebenso wie weltpolitisch ein Schwergewicht. Kein Wunder, dass der Topographie-Band zu ihm auch wuchtig ist: 6,8 Kilo- gramm bringt er auf die Waage. Nicht minder bombastisch ist sein Inhalt: Alles, was je zu Baugeschichte und Ausstattung des Doms geforscht wurde, haben Experten aufs Neue abgeklopft. Betreut hat das Projekt Matthias Exner vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege.
BSZ Herr Exner, Sie sehen ja ganz entspannt aus! Sie hätten doch wahnsinnig über dem Projekt mit seinen 2000 Seiten werden müssen!
Matthias Exner (lacht) Nein, das bin ich nicht geworden. Aber ich gebe zu, dass ich an meine Grenzen gestoßen bin. Drei oder vier Jahre lang habe ich selbst Weihnachten, Ostern und Pfingsten im Amt verbracht, um das Projekt voranzutreiben. Gerade auch die schier endlos langen Vorspann-Kapitel mit den Quellenangaben waren harte Knochenarbeit. Vermutlich wird die außer mir niemand mehr lesen, jedenfalls nicht als fortlaufenden Fließtext. Das muss aber auch nicht sein, denn diese Auflistungen sind ja fürs gezielte Nachschlagen gedacht. Das zweibändige Werk gibt es übrigens auch als CD mit allen Möglichkeiten der Recherche am Bildschirm. BSZ Halst man sich die Arbeit als Koordinator und Redakteur eines solchen Mammutprojekts eigentlich freiwillig auf?
Exner Das ergab sich eher zwangsläufig. Ich bin Kunsthistoriker und 2008 aus der praktischen Denkmalpflege in die Abteilung Denkmalerfassung und Denkmalforschung gewechselt. Dort habe ich die Leitung des Referats übernommen, das die Bamberger Inventarbände redigiert. BSZ Das soll eine Serie von insgesamt sieben Teilen werden. Der erste davon, der Inselstadt gewidmet, erschien 1990. Danach folgten sechs Teilbände bis 2009, 2012 dann die beiden Einleitungsbände zu den funktionalen und städtebaulichen Zusammenhängen des Stadtdenkmals. Eigentlich sollten dann erst noch die Bände zur „Gärtnerstadt“ erscheinen. Sie haben die Reihenfolge aber umgeworfen.
Exner Als ich die Betreuung des Bamberg-Projekts übernahm, liefen die Arbeiten zum Domberg-Inventarband schon gut 20 Jahre lang, aber es lag immer noch nichts Greifbares vor. Dabei ist der Domberg doch das Herzstück des Weltkulturerbes Bamberg. Freilich, die Erstellung einer solchen Dokumentation zu diesem Ort der Weltgeschichte ist sehr komplex. Deshalb hat man sie vielleicht auf die lange Bank geschoben. Aber es lagen Manuskriptentwürfe vor, die noch aus den Sechzigerjahren stammten. Die werden halt auch nicht frischer. Ich hatte mir dann das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis zum Weihejubiläum des Doms im Jahr 2012 eine entsprechende Publikation herauszubringen. Naja, letztendlich war das kein sehr realistischer Aufhänger. Aber einer, der alle Mitarbeiter zu Höchstleistungen angespornt hat! BSZ Sie haben eine stattliche Autorenriege betreut.
Exner Die Beiträge stammen von 27 Autoren. Beim Zusammenstellen des Teams habe ich großräumig gedacht. Ich wollte die jeweils besten Spezialisten gewinnen. Die nicht bloß aus Bekanntem abschreiben, sondern die Themen in ihrer Tiefe behandeln und auch den Mut haben, neue Schlüsse zu ziehen. BSZ Unvorstellbar, dass es zum Dom noch neue Erkenntnisse gibt.
Exner Da gibt es sogar eine ganze Menge neuer Erkenntnisse und Sichtweisen. Wir haben nämlich nicht einfach aus 100 Büchern ein neues gemacht. Wir haben Fakten neu durchdacht, haben Differenzen aufgezeigt und sind ihnen nachgegangen, sind bis zu den Originalquellen abgetaucht. Genau das hat die ältere Forschung oft nicht getan. Dann wurde eine Hypothese auf die nächste draufgesetzt und somit ein vermeintlicher Status-quo in der Forschung tradiert. Wir haben das nun alles auf seine Widersprüchlichkeit hin abgeklopft und gegebenenfalls auch noch Projekte der Bauforschung angestoßen. BSZ Generalkonservator Mathias Pfeil verrät im Vorwort zu dem zweibändigen Werk, dass neue Quellen herangezogen wurden. Welche sind das?
Exner Das sind zahlreiche Dokumente des Erzbischöflichen Archivs, vor allem aber die Rechnungen des Kunigundenwerkamts, Rechnungen von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zur Säkularisation. Ein wahrer Schatz, der im Bamberger Staatsarchiv verwahrt wird. Freilich haben wir dieses Konvolut nicht systematisch ediert. Das bleibt eine lohnenswerte Aufgabe für Historiker. Wir haben quasi mit verteilten Rollen diese Quellen im Staatsarchiv gezielt bei Widersprüchen durchforstet. BSZ Und das hat vor Ihnen noch niemand gemacht?
Exner Es geht ja auch darum, die Quellen richtig lesen zu können. Viele Texte sind in Latein abgefasst. Und das kann man nicht Wort für Wort mit dem Lexikon übersetzen, was schon viele Missverständnisse produziert hat. Man muss einfach wissen, was die Verfasser im 16., 17. und 18. Jahrhundert unter den Begriffen verstanden. Das erschließt sich oft erst im größeren Kontext. Wir haben deshalb nicht nur Transkriptionen überprüft und korrigiert, sondern auch gleich neue Übersetzungen erstellt. BSZ Auf welche Unstimmigkeit sind Sie dabei gestoßen, was ist zum Beispiel ein solcher tradierter Fehler?
Exner Das kann etwa Stützpfeiler betreffen, mit denen nicht die erhaltenen Strebepfeiler an den Osttürmen, sondern längst abgebrochene Bauwerke am Vorgänger des Kapitelhauses gemeint sind, oder auch die Bezeichnung der verschiedenen Sakristeien, die neben- und nacheinander in Gebrauch waren und nicht immer korrekt unterschieden wurden. Hinzu kommen viele neue Identifizierungen bei den Stücken des Domschatzes.Da steckt viel Spannendes drin. BSZ Und Provozierendes! Sie liefern eine brandneue Deutung, wer der legendäre Bamberger Reiter gewesen sein könnte. Nämlich nicht der heiliggesprochene Ungarn-König Stephan, sondern einer der drei Heiligen Könige aus dem Morgenland. Wie kommen Sie denn da drauf?
Exner Stimmt, das ist eine der wirklich mutigen, gleichwohl schlüssigen neuen Sichtweisen, mit der uns Dorothea Diemer aus Augsburg konfrontiert. Ihr zufolge gehören der Domreiter ebenso wie die gerne als Hl. Elisabeth bezeichnete Steinfigur einer alten Frau, die aber die Prophetin Hanna meint, zum Bildprogramm eines Lettners. BSZ Pardon, ein Lettner?
Exner Das ist die Abschrankung vom Chor zum Mittelschiff hin. Sie war im Mittelalter Teil des liturgischen Systems, so wie die seitlichen Chorschranken, die erhalten blieben. Beide Chöre des Bamberger Doms hatten solche Lettner. Das waren nicht bloß Mauern, sondern begehbare Brüstungen, vielfach sogar mit Altären oben drauf. Entsprechend groß war meist auch das zierende Figurenprogramm. Denken Sie an Naumburg! BSZ Wie sah dieses Bildprogramm im Bamberger Dom aus?
Exner Das Programm des Ostlettners umfasste wohl drei Szenen aus der Kindheit Jesu: Die Anbetung der drei Könige und die Darstellung im Tempel können wir aus den überkommenen Figuren erschließen, eine Geburt Christi müsste dann mindestens noch dazugehört haben. Dieser Lettner wurde im Bamberger Dom allerdings nie fertiggestellt. Vermutlich war dafür nach 1237 kein Geld mehr da. Auch der Westlettner, für den es ein anspruchsvolles gemaltes Bildprogramm gab, blieb ja unvollendet. Die beiden bereits vollendeten Figuren des reitenden Königs und der alten Prophetin hat man dann einfach solo in der Kirche aufgestellt. Aus dem Zusammenhang gerissen, war da viel Raum für mystifizierende Interpretationen. BSZ Und warum kommt die Forschung erst jetzt zu diesem Schluss?
Exner Das hat mit dem Verlust der maßgeblichen Vergleichsbeispiele in der Französischen Revolution zu tun. Damals wurden nämlich vergleichbare Einbauten in französischen Kirchen radikal abgerissen. Erst in den vergangenen Jahrzehnten sind dort regelrecht verschüttete Lettner-Fragmente wieder aufgetaucht, zum Beispiel in Chartres, was eben erst jetzt Vergleiche mit den Bamberger Figuren ermöglicht. Und dass die jüngere Bamberger Bildhauerschule ihre Wurzeln in Frankreich hatte und mit den dortigen Strömungen der Zeit bestens vertraut war, ist ja seit Langem bekannt. BSZ Haben Sie schon ein Echo aus der Fachwelt auf diese Neudeutung?
Exner Im September wird sich das Forum Mittelalter des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft in Hildesheim treffen. Da wird es auch konkret um unseren Inventarband gehen. Ja, da erwarten wir auf jeden Fall Diskussionen mit den Fachkollegen. BSZ Sie sagen, auch beim Domschatz enthüllt der Inventarband Neues?
Exner Ja, wir stellen bislang unpublizierte Stücke vor und können andere historisch neu verorten. Sie dürfen nicht vergessen, die bislang einzige große Monografie zum Domschatz stammt von 1914. Wir zeigen jetzt Stücke, die zum Beispiel erst im 20. Jahrhundert zum Domschatz gekommen sind, oder die vorher woanders, beispielsweise in der Sakristei, und deshalb nicht erfasst waren. BSZ Man liest auch von abgegangenen Stücken.
Exner Auch da haben wir aufgenommen, was aus den Quellen noch irgendwie rekonstruierbar ist. Und da ist uns etwas Besonderes gelungen. Wir zeigen zum Beispiel erstmals ein Bild vom Ring, der wohl Papst Clemens II. gehört hatte und der seit 1947 verschollen ist. Das Foto ist zwar kein besonders gutes, aber es gibt auch alte Skizzen zu seinem Aussehen. Wer weiß, vielleicht trägt diese Veröffentlichung ja dazu bei, dass er identifiziert werden kann und wieder auftaucht? BSZ Das betrifft dann freilich nur einen wirklich kleinen Insiderkreis in der Leserschaft. Sie haben ja selbst schon eingeschränkt, dass der Band zur Baugeschichte für Laien zu schwere Kost ist. An wen wenden sich denn dann die Inventarbände?
Exner Also, was Baugeschichtliches angeht, da ist das Werk tatsächlich eine neue Arbeitsgrundlage für jeden Bauleiter an der Dombauhütte. Auch für Restaurierungsprojekte der praktischen Denkmalpflege ist jetzt eine unverzichtbare Basis anstehender Entscheidungen gewonnen. Aber auch unsere anderen Zielgruppen werden darin das eine oder andere Interessante für sich entdecken. Pauschal kann man sagen, dass wir jedem, der mit der Vermittlung des Weltkulturerbes Bamberg und speziell des Dombergs zu tun hat, eine solide Datenbasis an die Hand geben. Das können Stadtführer ebenso sein wie Autoren von Audioguides und touristischen Veröffentlichungen. Wohl portioniert, ist da für jeden Laien etwas drin. (Interview: Karin Dütsch) Abbildungen:
Es geht weiter mit der Topografie zum Bamberger Domberg: Matthias Exner nimmt jetzt die Alte Hofhaltung und die Neue Residenz in Angriff.  (Foto: privat) Der Bamberger Domberg in einer Luftaufnahme von 1920. (Foto BLFD) Das einzige Bild des Rings von Papst Clemens. Das Schmuckstück ist seit der Nachkriegszeit unauffindbar. (Foto: BLFD)

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