Kultur

„Erste Menschen“ (1922) von Emil Nolde. Hier ein Ausschnitt - die Gesamtansicht sehen Sie im Text. (Foto: Nolde Stiftung Seebüll)

09.09.2016

Nackedeis in Wald und Wiese

Das Buchheim-Museum in Bernried zeigt Bilder der „Brücke“-Künstler zur Lebensreform

Lebensreform: Die kann man sich gut vorstellen am Starnberger See mit den schicken Privatkliniken bis hinunter zur Lauterbacher Mühle. Oder in den Liegenstühlen im Schatten des Buchheim-Museumsparks. Dort präsentiert man derzeit Kunst und Lebensläufe der Brücke-Künstler und das neue Lebensgefühl bürgerlicher Kreise: ein bisschen Öko, freien Sex, FKK und Wandervogel. All das hat jetzt Kurator Kai Schupke auf einen bisher unbeachteten Nenner gebracht, über dem „Hippies um 1900“ stehen könnte – in Wirklichkeit heißt die Ausstellung Brücke und die Lebensreform. Revolution wollten die Brücke-Künstler (Kirchner, Heckel, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Mueller, Nolde) machen: gegen die konservativen Kräfte des Kaiserreichs. Und mit neuen Bildthemen, ungewohnten Farben, wilden Kompositionen, viel Exotismus. Und mit einem neuen Bett. Das ist die Ausstellungssensation in Bernried (aus der Schweiz): genau das Bett von Ernst-Ludwig Kirchners Gemälde Interieur mit Maler, genau das, mit dem er das brüchige Verhältnis mit Erna Schilling kitten wollte. In Davos werkelte er mit Arven- und Föhrenholz, machte eine Art Südseeboot daraus mit Schnitzereien am Kopfteil wie von Gauguin; die Matratze ist mit Kasak-Stoff überzogen. Geradezu monumental in seiner Strenge ist dieses Bett, aber ist es auch bequem? Jedenfalls passt Erich Noldes Gemälde Erste Menschen von 1922 daneben: ein afrikanisches Paradies-Paar mit einer heftig züngelnden Schlange, kühn komponiert mit den verqueren Gliedmaßen und heftigen Farben. Manches drumherum hat zwar wenig Bezug zur Lebensreform-Bewegung, führt aber in die Arbeitsweise der Brücke-Künstler ein, so etwa Noldes berühmter Prophet. Weg von den Lebens- und Kunstzwängen Europas, hin zu exotischem Primitivismus: Die Brücke schuf sich ihre eigene Südsee, zur Not im Dickicht am Wannsee, und malte wie Max Pechstein ein Segelndes Kanu in der grünen Hölle tropisch grüner Inseln und unter blauen Himmeln. 1917 und mitten im Ersten Weltkrieg mag das auch eine gute Portion Eskapismus gewesen sein. Genauso wie die Nacktheit als Gegenbild zu Enge und Drill der Uniform.

Vereinnahmt von den Nazis

Kraft und Schönheit toben da über Wiese und Feld, nackte Leiber mitten im Ähren- und Wellengewoge. Klar, dazu gehört auch Mary Wigmans Ausdruckstanz, den man gefilmt oder als Kirchner-Bild (Wigman-Tanzgruppe 1926) in der Ausstellung sehen kann. Dazu gehört auch, dass die Nazi-Ideologie keulen- und bänderschwingend diese Bewegung vereinnahmt hat: über den Bund Deutscher Mädchen reichte das bis in den Mädchensport der Nachkriegsjahre. Genauso wie die wallenden Reformgewänder und -kolonien oder die Weihrauchschwaden in den Tempeln von Karl Wilhelm Diefenbach und seines Jüngers Fidus. Das sieht dann aus wie ein Neu-Bayreuther Parsifal. Auf Fotos und Bildern wird die Bohème vor dem Ersten Weltkrieg ausführlich geschildert: Kirchner beim Bettenbau, koksende Künstler in schummrigen Atelier-Ecken. Das alles ist keineswegs idealisiert: Es gibt viel armselige Nacktheit in nüchternen Aufenthaltsräumen für Aktmodelle.

Nah an der Lächerlichkeit

Die Aktmalerei hat sich die Badenden erobert: auch hier ohne Kleiderzwang. Nackt in Gruppen, oft in geheimnisvoll erträumter Umgebung (Waldteich): kniend, liegend, tanzend – manchmal ist der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen nicht weit. Die Vielfalt des im Buchheim-Museums angebotenen Materials macht es einem leicht, eigene Schlüsse zu ziehen: auch hin zu fatalen Parallelen, zu Blut und Boden, zum bäuerlichen Leben als angeblichem irdischen Paradies. (Uwe Mitsching) Information: Bis 9. Oktober. Buchheim Museum, Am Hirschgarten 1, 82347 Bernried. Di. bis So. und Fei. 10-18 Uhr.
www.buchheimmuseum.de

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