Kultur

Lisa Stiegler als durchgeknallte Franka. (Foto: Sandra Then)

09.03.2023

Nilpferd-Alarm in Südamerika

Uraufführung von „Bavaria“ im Münchner Marstall

Was passiert, wenn aus dem Zoo Hellabrunn in München die Tiere ausbrächen? Im Englischen Garten würden Polizisten vielleicht einen Bären erschießen und von der U-Bahnlinie 4 könnte ein Rhinozeros überfahren werden. Das zählt zu den bemerkenswerten Erkenntnissen eines Theaterabends, der ziemlich ratlos stimmt. Es geht nicht darum, dass Guillermo Calderón mit absurdester Groteske arbeitet. Vielmehr flacht der Humor sehr schnell ziemlich ab.

Dabei geht es in seinem Stück Bavaria, das er für das Residenztheater kredenzt hat und das unter seiner Regie im Marstall uraufgeführt wurde, um ein hochbrisantes Thema. Der Theatermacher aus Chile möchte die deutsch-chilenische Kolonialgeschichte aufarbeiten, und da gibt es bekanntlich sehr viel Nachholbedarf. Der Titel verweist auf die 1961 von Paul Schäfer gegründete Colonia Dignidad. Aus ihr wurde 1991 die „Villa Baviera“.
In dieser Horror-Kolonie hatte Schäfer zahllose Buben und junge Männer vergewaltigt. Zudem durfte in seiner Festung während der Militärdiktatur von Pinochet gefoltert und gemordet werden. Dieses Bavaria wird noch grauenvoller, wenn Miene Costa aus dem Zuschauerraum heraus munter-fröhlich jodelt. Überhaupt bilden Volksgut und Lieder ein zentrales Leitmotiv des Abends – oder besser: Leidmotiv?

Sechs Frauen lässt Calderón in einem Raum auftreten. In der Ausstattung von Sophia Sylvester Röpcke sieht er wie eine Bude aus, in der Yoga geturnt und Yogi-Tee getrunken wird. Natürlich dürfen ethno-spirituelle Räucherstäbchen nicht fehlen. In solchen Runden wird bekanntlich viel gequasselt und gesungen, wobei das Publikum von Mareike Beykirch als Lina zum Mitmachen animiert wird.

"Kein schöner Land" ist dabei oder Liedgut aus Oberbayern, garniert mit Liedern auf Spanisch oder in paraguayischem Guaraní. Das könnte wunderbar gemütlich sein, wenn nicht Eva von Barbara Horvath ihr dunkles Geheimnis lüften würde. Sie hat ihren Mann umgebracht, jedenfalls könnte es so gewesen sein. Er ist demnach von einem Sessellift in die Tiefe gestürzt, lag auf dem Rücken im Schnee, als das Handy von Eva herunterfällt. Es durchbohrt seinen Hals.

Alles ziemlich schräg

Dagegen ist Anna Bardavelidze als Charlotte unaufhörlich damit beschäftigt, Gott anzurufen, der aber lieber stumm bleiben will. Zum Narrativ gehören freilich auch Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Südamerika geflohen sind. Auch Elisabeth Förster-Nietzsche darf nicht fehlen: Die Schwester des Philosophen war Mitbegründerin von „Nueva Germania“ in Paraguay. In dieser merkwürdigen Siedlung sollte die arische Rasse geschützt werden.

Für Karola von Katja Jung steht fest, dass Südamerika für das Sextett der richtige Ort ist. Zur Unterstützung hat sie die durchgeknallte Franka (Lisa Stiegler) mitgebracht. Die Impfgegnerin Maria von Barbara Melzl findet die Idee zunächst großartig. Ein Problem gibt es allerdings mit den Nilpferden. Die gibt es zwar nicht in Südamerika, aber der Drogenboss Pablo Escobar hatte einen Privatzoo. Aus dem sind sie getürmt und suchen jetzt den Nil. Momentan sind sie in Paraguay.

Das alles ist ziemlich schräg, und man benötigt starke Nerven, um diesen gewollt wirren Theaterabend zu überstehen. Oder aber man pflegt einen herrlich trockenen Humor wie Melzl: Ihrer Maria zuzuhören und zuzusehen, bereitet schiere Freude. Sie rettet dieses Stück. (Marco Frei)
 

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