Kultur

Mit drei Stunden geriet die insgesamt gute Inszenierung leider deutlich zu lang. (Foto: Declair)

28.01.2011

Nostalgisches Oktoberfest-Soho

Regisseur Christian Stückl bietet in Brechts „Dreigroschenoper“ am Volkstheater pralle Bilder und witzige Einfälle

Ohne Letztes Abendmahl macht er es nicht. Wenn Christian Stückl an seinem Münchner Volkstheater die Dreigroschenoper von Bert Brecht und Kurt Weill auf die Bühne wuchtet, drapiert er zwölf schräge Gestalten im Leonardo-Stil um eine lange Tafel. Und dann lässt er Mackie Messer, den Pascal Fligg als smarten Andre-Heller-Verschnitt spielt, wie eine Erlösergestalt zu seinen zwölf „Jüngern“ treten. Die ihn natürlich verraten. Genauer gesagt: Spelunken-Jenny (großartig: Xenia Tiling als melancholische Ober-Nutte) liefert ihn gegen Geld der Polizei aus. Denn: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“
Diese grotesk-pathetische Bordellszene ist der Höhepunkt in einer an prallen Bildern und witzigen Einfällen reichen Inszenierung (die mit drei Stunden allerdings deutlich zu lang geriet). Wie immer beim Theater-Tier Stückl, der überbordende Ideen nebeneinander abfeuert und damit manchmal verpuffen lässt, statt sie in ein durchgehendes Konzept zu fügen, ersetzt barockes Spektakel jede Interpretation.
Wozu auch die grellbunte, virtuose Ausstattungsorgie von Stefan Hageneier beiträgt, der die Geschichte vom Londoner Gangster-Krieg ins Rummelplatzambiente verlegt, in eine verschlissene Jahrmarkts-Brettlbude, wo Bettlerkönig Peachum (Stefan Ruppe als heimlicher Spielmacher) im verschmuddelten Zirkusdirektor-Outfit den Taktstock schwingt. Schließlich sorgen die ganzen Brecht/Weill-Hits vom Kanonensong bis zur Ballade von der sexuellen Hörigkeit an diesem Abend ja für reichlich Stimmung – zumal Stückls jüngste Entdeckung, Nachwuchsschauspielerin Sybille Lambrich als Polly im rosa Tutu, ein stimmliches Naturwunder ist.
Ansonsten sieht man in diesem nostalgischen Oktoberfest-Soho malerisch-groteske Ganoven, wüste Panoptikumsgestalten und wasserstoffblonde Nutten im Goldglitzerfummel, die ihre wuchtigen, nackten Atombusen-Gummiattrappen wie Bauchläden vor sich hertragen. Von der Operetten-Parodie über den Slapstick bis hin zur surrealen Farce ist in der deutlich unpolitischen Inszenierung also alles geboten – und doch wird keine ganz runde Sache daraus.
Denn Stückls Versuch, eine Art Brandner-Kaspar-Story aus dem Londoner Schiffschaukelbremser-Milieu zu erzählen, kollidiert mit Brechts Sprache: Durch die meldet sich jenes sperrige Moment des epischen Theaters, das die Regie opulent zu überspielen versucht, doch zu Wort, und so kommt der Rhythmus der Aufführung oft schwer ins Stolpern. Ursprünglich, hört man, wollte Stückl das Stück mit bayerischer Blasmusik inszenieren, was aber von den Gralshütern der Kurt-Weill-Kompositionen verboten wurde. Schade, denn gerade so wären wahrscheinlich unverbrauchte Verfremdungseffekte entstanden, an denen der listige B.B. seine Freude gehabt hätte.
(Alexander Altmann)

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