Kultur

Szenenbild aus Die Befristeten. (Foto: Adrienne Meister)

23.05.2014

Ödipussi auf der Couch

Tops und Flops bei der Münchner Biennale für neues Musiktheater

Einen schöneren Abschied hätte sich Peter Ruzicka wohl nicht wünschen können. Jedenfalls war bei seiner letzten Biennale für neues Musiktheater, die er als künstlerischer Leiter verantwortet, das Finale der Höhepunkt. Von den fünf großen Uraufführungen, die in diesem Jahr gestemmt wurden, ging Hèctor Parra mit seiner Kammeroper Das geopferte Leben klar als Sieger hervor, wobei vor allem die Musik des 1976 geborenen Katalanen punkten konnte.
Schon die grundsätzliche Idee war spannend, weil sich zwei Instrumentalgruppen begegnen, eine Barockformation und ein Ensemble für neue Musik. Originalklang trifft auf neue Musik, das war das spannende Hörkonzept. In seiner neuen Oper verwebt Parra einerseits Kenntnisse der historischen Aufführungspraxis mit geräuschhaften Spielweisen.
Andererseits werden die modernen Instrumente mit Barockharfe, Viola da gamba oder Laute klanglich erweitert. Neu ist diese Idee nicht, aber: Parra machte vollends hörbar, wie sehr auch die neue Musik von der Originalklang-Praxis profitiert und beides zu einer sinnstiftenden Einheit verschmelzen kann. Das wurde vom Ensemble Recherche und das Freiburger Barockorchester unter Peter Tilling virtuos ausgestaltet. Umso ärgerlicher war die Regie von Vera Nemirova. Statt die zwei Klangebenen szenisch aufzugreifen, blieb ihre Inszenierung eindimensional. Noch dazu bemühte sie einen abgegriffenen Humor.

Unfreiwillig komisch

Zugegeben, das blumige Libretto der in Berlin lebenden Marie NDiaye ist unfreiwillig komisch. Angelehnt an den Orpheus-Mythos, opfert sich eine Mutter (Sigrun Schell) für ihren Sohn (Alejandro Lárraga), als ihn der Tod heimsuchen will (Lini Gong). Die recht einfältigen Konflikte changieren zwischen Mutter und Sohn sowie zwischen dessen Partnerin (Sally Wilson) und deren Schwiegermama. Über weite Strecken wähnte man sich auf der Couch von Sigmund Freud, samt Ödipussi und Penisneid.
Diese Psycho-Sitzung garnierte Nemirova auch mit einer Beischlaf-Szene, die besser zu Dmitri Schostakowitschs Oper Lady Macbeth von Mzensk gepasst hätte. Trotzdem war die Oper Parras der Höhepunkt der diesjährigen Biennale, nach dem recht schlaffen Auftakt. Zwar rührten danach die Utopien des 84-jährigen Dieter Schnebel mit altersweiser Gelassenheit und Schlichtheit, allerdings erreichte die Befragung von Bühne, Sprache und Musik nicht die Radikalität früherer Werke.

Musik bleibt oft auf der Strecke

Eine Enttäuschung war Detlev Glanerts Die Befristeten nach Elias Canetti, das mit dem benachbarten Residenztheater gestemmt wurde. Canettis Stück von 1958 handelt von einer Gesellschaft, in der die Menschen genau wissen, wann sie sterben. Für den Henze-Schüler Glanert war sein neues Musiktheater ohne Gesang ein Melodram.
Tatsächlich kam ein Schauspiel mit simpler Bühnenmusik heraus. Da war Bernd Alois Zimmermann sehr viel weiter, als er im Jahr 1966 für eine Hörspielfassung von Canettis Stück die Musik beisteuerte.
Immerhin war Glanerts Schauspiel mit Bühnenmusik ein möglicher Ausblick auf die Münchener Biennale, die ab 2016 von Manos Tsangaris und Daniel Ott geleitet wird. Jedenfalls hat das Duo schon 2012 auf Nachfrage verraten, dass sie die Biennale für andere Künste stärker öffnen möchten, zumal für Performances und Theater. Die Uraufführung Glanerts hat gezeigt, dass bei solchen Konzepten die Musik oft auf der Strecke bleibt. Ferner möchte das Duo neue Orte in der Stadt bespielen und die Münchner Szene stärker einbinden. Wie durchsickerte, ist ein „Plattformen“-Projekt geplant mit Isabel Mundry als künstlerische Leiterin.

Reaktionäre Retro-Oper


Ob die Biennale mit solchen Rezepten an Glanz gewinnen kann, wird sich zeigen. Und was war der größte Flop von Ruzickas letzter Biennale? Das war Samy Moussas Vastation. Der Kanadier, der schon von Kent Nagano aufgeführt wurde, präsentierte eine reaktionäre Retro-Oper aus dem Lehrbuch. Die klar gestrickte Handlung wird geradezu schulmeisterhaft linear erzählt. Musikalisch wandelt Moussa auf den Spuren von Puccini und Carlo Menotti, mit einem Schuss John Adams, ohne jedoch eine schöne Melodie zu erfinden. Mit erschreckender Gleichgültigkeit fegte der 30-Jährige über die zentralen Entwicklungen im Musiktheater seit den Zweiten Weltkrieg hinweg. Das ist mutig und genauso ignorant. Da war es nur konsequent, dass Moussa auf dem Symposion der Biennale einen Neuerer wie Helmut Lachenmann als „asozial“ bezeichnete. So alt kann die Jugend sein. (Marco Frei)

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