Kultur

„Bombiges“ Beach-Feeling mit Blick auf Schlachtfelder: Ein überwältigendes Szenario im Nürnberger NS-Dokumentationszentrum.(Foto: Dokuzentrum)

04.07.2014

Public Viewing des Grauens

In Nürnberg provoziert eine Ausstellung mit Bildern aus dem Ersten Weltkrieg

Während die Fußballnation beim Public Viewing gebannt die Schlachten auf den Fußballfeldern verfolgt, provoziert eine Ausstellung in Nürnberg mit einem Public Viewing des Grauens: In der Ausstellung Sommer Vierzehn. Die Geburt des Schreckens der Moderne im NS-Dokumentationszentrum auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände der Nazis breitet sich ein Sandstrand aus, sitzen die Besucher in Strandkörben oder fletzen in Liegestühlen und schauen auf eine große Panoramaleinwand: Darauf werden schreckliche Bilder aus dem Ersten Weltkrieg projiziert, der im Sommer 1914 mit dem Mord am österreichischen Thronfolger seinen Anfang nahm.
Der Himmel über dieser riesigen Rauminstallation einer sommerlichen Strandlandschaft hängt nicht voller Geigen, sondern voller gewaltiger Bomben und Granaten. Diese Attrappen drohen auf die „Strandurlauber“ herabzuregnen – wie vor 100 Jahren, als Europa Ferien machte, stören sie die friedliche Idylle.
Verstörend wirken die Projektionen von zeitgenössischen Filmen und historischen Fotografien, von Plakaten und Porträts der verantwortlichen Politiker, von Grafiken und Landkarten, von Zitaten und den schier nicht enden wollenden Zahlen von Toten: Ein Szenario des Schreckens, das der Moderne, die so hoffnungsvoll in ein neues Jahrhundert aufgebrochen war, mit diesem ersten Weltkrieg der Geschichte ein grauenhaftes, jähes Ende bereitete. Der Gründungsdirektor des 2001 eröffneten Nürnberger Dokumentationszentrum, Hans-Christian Täubrich, der die Ausstellung konzipiert und arrangiert hat, verabschiedet sich mit dieser exzellenten Inszenierung in den Ruhestand.
Das berührende Szenario der Schau entgeht trotz aller beeindruckenden visuellen und akustischen Effekte der Gefahr, sich in martialischen Schlachtenbildern, wie Ernst Jünger sie in seinen Stahlgewittern des totalen Krieges emphatisch beschwor, zu ergehen.
Hölzerne Laufstege über den Sand, ein goldgelbes Weizenfeld, immer wieder eingeblendete Meeresblicke brechen, fast poetisch, den Schlachtenlärm des Kanonendonners und des Maschinengewehrfeuers, die grellen Lichtblitze der Bomben und der Flammenwerfer, die den Strand im 12 Meter hohen Backsteingemäuer der unfertig gebliebenen NS-Kongresshalle blutrot färben.

Vor dem nächsten Krieg

Die mediale Collage der Ausstellung, die sich nicht als chronologische Dokumentation des Ersten Weltkriegs versteht, beschwört und denunziert zugleich die heroischen Schlachtenbilder eines Krieges, der nicht zufällig in den Weltenbrand des Zweiten Weltkriegs wies: Dessen „Führer“ und Anführer waren fast durchwegs als Kriegsteilnehmer aus dem Ersten Weltkrieg hervorgegangen; und folgerichtig zeigt die Ausstellung zum Schluss hin, wie der Opfergang für Führer, Volk und Vaterland wieder in der Katastrophe endete. Nicht zufällig versammelten sich die Nazis zum Auftakt ihrer Nürnberger Reichsparteitage, am nahegelegenen Kriegerdenkmal für die 10 000 im sogenannten „Großen Krieg“ gefallenen Nürnberger zu einem obskuren Totenkult. „Nach dem Krieg“, eine gängige Redewendung bis heute, hieß immer auch „vor dem Krieg“.
Das in jeder Hinsicht überwältigende Szenario dieser Ausstellung mag für manchen Besucher eine Zumutung sein. Die Ausstellung Sommer Vierzehn. Die Geburt des Schreckens der Moderne gemahnt mit ihrer Bildgewalt aber auch daran, dass der Schlaf der Vernunft bis heute die Gewalt des Krieges gebiert. (Fridrich J. Bröder) Bis 11. November. Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Bayernstraße 110, 90478 Nürnberg.
Mo. bis Fr. 9 – 18 Uhr; Sa./ So. 10 – 18 Uhr. Katalog 5 Euro (60 Seiten). www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum

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