Kultur

Bambergs neue Intendantin Sybille Broll-Pape setzt eindeutig politische Akzente im Spielplan: Hier eine Szene aus „rechtes denken“ mit Daniel Seniuk. (Foto: Martin Kaufhold)

27.05.2016

Putzmuntere Bühnen

Die Bayerischen Theatertage in Regensburg geben sich wild – Die Bühnen beweisen vor allem, dass sie gesellschaftspolitisch relevant sind

Auf Plakaten, an Fahnenmasten und auf Fahrradsätteln: „Wildes Bayern“ ist in Regensburg derzeit omnipräsent. Das ist das Motto der 34. Bayerischen Theatertage, die am morgigen Samstag beginnen. Die Schau beweist vor allem: Die Theater beziehen mehr denn je Position zu aktuellen Fragen. „Wild“ sollen sie daherkommen, die bayerischen Theater, wild, frisch und frei. Und tatsächlich wird das Programm geprägt von vielen munteren Stücken aus dem Bereich des Kinder- und Jugendtheaters, dazu von Neu-Interpretationen, Ur- und Erstaufführungen. Theatertage sind stets auch ein Einblick in das Schaffen der Häuser jenseits der Metropolen, in den Regionen. Und dort tut sich in Bayern derzeit enorm viel.

Frage der Haltung

Zu beobachten ist, wie sehr die Theater sich als Nachdenkräume positionieren, ins Politische gehen, Menschen und mithin ihre Kunden als demokratische Individuen ansprechen wollen und eine Positionierung erwarten. Besonders augenfällig wird dies beim besonders gern und vielerorts aufgeführten Stück Terror (Ferdinand von Schirach): Die Zuschauer sind Teil einer Gerichtsverhandlung, in der es um die Rechtmäßigkeit des Abschusses eines von Terroristen entführten Flugzeugs geht. Am Schluss müssen sie das Für oder Wider entscheiden. Kultur ist keineswegs nur eine Frage der Unterhaltung, sondern eben auch der Haltung. Das scheint den Theatern in Bayern besonders wichtig. Was auch eine Rundschau über das ergibt, was in dieser Saison in Bayerns Regionen passiert ist – und in der nächsten Spielzeit fortgeführt wird. Da wird etwa in München mitgeteilt, mit dem neuen Spielplan verstärke Intendant Martin Ku(s)ej „die politische Ausrichtung des Residenztheaters“. Da kündigt Kathrin Mädler, die designierte neue Chefin des Landestheaters Schwaben, für die nächste Saison an, das Theater auch als politischen Ort zu verstehen und setzt Stücke wie Franz-Xaver Kroetz’ Ich bin das Volk und Die deutsche Ayse von Tu(g)sal Mo(g)ul aufs Programm. Und da wird gleich zu Beginn der nächsten Saison in Bamberg die Uraufführung Europa verteidigen von Konstantin Küspert gezeigt. Denn auch Sibylle Broll-Pape hat das E.T.A. Hoffmann-Theater in Bamberg mit nachdenklichen Stücken über die politische Gegenwart der Gesellschaft ausgestattet: rechtes denken von Küspert, viel gut essen von Sibylle Berg, Das schwarze Wasser von Roland Schimmelpfennig. Das entspricht Broll-Papes Credo: „Theater ist immer politisch. Hier werden gesellschaftsrelevante Fragen gestellt und über die Bedingungen unseres Zusammenlebens mit den Mitteln der Kunst reflektiert.“ Dabei könne es „im Gegensatz zu dem, was populistische Parteien versprechen, keine einfachen Antworten geben. Das Theater muss Impulse geben, zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung anregen“.

Raum für Debatten

Die allmählich zu Ende gehende Saison war tatsächlich bayernweit anregend – auch in dem Sinne, dass die Theater Stoff zum Nachdenken gaben. Beispielhaft zeigte sich das in zwei wunderbaren Premieren im Theater Ingolstadt zum Ende der Saison, als mit Die Perser von Aischylos und In meinem Alter rauche ich immer noch heimlich von Rayhana die ganze Bandbreite des – politischen – Theaters ausgebreitet wurde; vom ersten bekannten Theaterstück, das gleich mal das Theater als Bestandteil der Demokratie einführte, bis zu einer Erzählung um neun ganz unterschiedliche Frauen in einem islamischen Staat. Das ist für Intendant Knut Weber nur logisch: „Angesichts von Finanz- und Europakrise, Rechtsruck und Flüchtlingsproblematik, Krieg und Vertreibung vor den Toren Europas fühlen sich auch die Theaterkünstler zunehmend verpflichtet, Stellung zu beziehen.“ Das Theater Ingolstadt macht das seit Jahren voll Tatkraft. Unter Einbezug der Bürger und ganz wesentlich der nachwachsenden Generationen. Denn durch eine derart lebendige Auseinandersetzung wird, so Weber, „Theater zu einem der letzten öffentlichen Orte der gesellschaftlichen Selbstvergewisserung.“ Wo findet sonst noch angesichts des multimedialen Hypes und angesichts der Einschaltquotenmentalität tatsächlich eine Debatte statt, die Konzentration verlangt und ein Sich-einlassen-Können? Was übrigens auch viel sagt über den entscheidenden Vorteil des Mediums Theater, von dem Nürnbergs Schauspielchef Klaus Kusenberg spricht: „Ich werde niemals zulassen, dass unsere Kernkompetenz, das Erzählen von Geschichten und das Verkörpern von Ideen und Konflikten, der Aktualität oder dem trendigen Thema geopfert wird.“

Für und mit den Bürgern

Das Fleischwerk von Christoph Nußbaumeder, Die Schutzbefohlenen von Elfriede Jelinek, der europäische Dramenwettbewerb Talking about Borders mit der diesjährigen Uraufführung von Die Lotterie/Frauen des Krieges der Armenierin Karine Khodikyan: Derlei Produktionen in Nürnberg zeigen, dass sich alles um Aktualität dreht, ohne das künstlerische Handwerk zu opfern. „Die meisten Theater haben sich immer schon als Spiegel der aktuellen Fragestellungen verstanden. Es wird zurzeit nur wieder verstärkt auch so wahrgenommen, weil die Welt um uns herum wahnsinnig politisch geworden ist“, sagt dazu Kusenberg. Von Nord nach Süd, vom verblüffend aktuellen Dantons Tod am Landestheater Coburg bis zu den Bürgerbühnenprojekten des Theaters an der Rott in Eggenfelden: Die Theater arbeiten für und mit den Bürgern ihrer Stadt. In Landshut beispielsweise entführt zwar einerseits das kleine theater mit einer wunderbaren, wundersamen, anrührenden Inszenierung von Shakespeares Sturm in eine andere Welt, kommt aber mit Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen in einer heutigen wieder an. Für den Intendanten Sven Grunert geht es „darum, den Freiraum des Theaters zu nutzen, um Positionen und Haltungen zu zeigen im Sinne von Aufklärung und Zivilcourage“. Stefan Tilch, Chef des Landestheaters Niederbayern, spricht ebenfalls von der Kernkompetenz des Theaters: „Politik muss zusammenfassen, vereinfachen, muss, um überhaupt gestalten zu können, über einen Kamm scheren, und muss auf den vermeintlichen Wählerwillen eingehen. Wir müssen: Gott sei Dank gar nichts! Wir sind die letzte völlig freie Instanz in unserer Gesellschaft, wir dürfen den Einzelfall ansehen, den Menschen untersuchen, wir können seine Angst und Not sehen, wir können gesellschaftliche Mechanismen analysieren.“ Die Theater haben in dieser Saison eindrücklich ihre gesellschaftspolitische Aufgabe bewiesen. Es gibt Spielplanwiderstand gegen die neoliberalen Gleichschaltungstendenzen des puren Entertainments zur Ablenkung des Publikums von den tatsächlichen Lebensbedingungen. Dass da dann sogar ein vermeintlich bloßes Unterhaltungsstück wie die Comedian Harmonists am Landestheater Niederbayern im Unterstrom immer wieder auch die Ausgrenzung von Menschen thematisiert, versteht sich aus diesem (Selbst-)Bewusstsein des Theaters. Das außerdem immer auch Freiräume hat, mit Lesungen, Diskussionrunden, Themenabenden auf Aktuelles zu reagieren.

Delegieren ist out

In Regensburg ist jetzt also „Wildes Bayern“ zu sehen. Ein guter Einblick in die gegenwärtige, regionale, putzmuntere Theaterlandschaft im Freistaat. Auch das ins Theater Gehen ist eine Art Statement, wie das Jens Neundorff von Enzberg, Intendant am gastgebenden Theater Regensburg, sagt: „Die Phase, in der wir alles an die Politik, an die Parteien delegiert haben, ist vorbei. Gesellschaftliches Engagement ist dringend notwendig. Im Theater lassen sich die gesellschaftlichen Entwicklungen begleiten, abbilden und interpretieren.“ Solche Abbilder und Interpretationen sind vom morgigen Samstag bis zum 10. Juni zu sehen. (Christian Muggenthaler)

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