Kultur

Schlichte Eleganz prägt die Glasvasen von Vittorio Zecchin. (Foto: Enrico Fiorese)

23.10.2020

Raffiniert schlicht

Die Kunstsammlungen der Veste Coburg erinnern an den Glaskünstler Vittorio Zecchin

Wenn ein Designobjekt über 100 Jahre up to date ist, es nach wie vor regelmäßig nachproduziert wird, sind die Kriterien erfüllt, die es zu einem Klassiker erheben. Den stolzen Preis von 1700 Euro muss man aktuell für die „Veronese“ hinblättern, eine Vase aus Glas, die 1921/22 erstmals in den Werkstätten der gerade eben in Murano von einem Antiquitätenhändler und einem Rechtsanwalt gegründeten Glasmanufaktur Venini geblasen wurde. Oft kopiert und nachgeahmt, ist sie weltweit in Haushalten omnipräsent, die einen gehobenen bürgerlichen Wohnstil pflegen. Weshalb es wundert, dass der Name ihres Schöpfers nur Fachleuten ein Begriff ist.

Unbekannter Erneuerer

Mit einer Sonderausstellung, die rund 90 nach seinen Entwürfen gefertigte Glasobjekte umfasst, empfehlen die Kunstsammlungen der Veste Coburg, den 1947 verstorbenen Vittorio Zecchin mit großem Staunen zu entdecken – als einen der großen, bislang aber nur Insidern bekannten Erneuerer, der die auf alle künstlerischen Disziplinen übergreifende Abkehr vom Dekor und die Hinwendung zu einer reduzierten, sachlichen Ästhetik vorwegnahm. Ein Kaufhauskünstler, der sich bei genauem Hinsehen als Wegbereiter von Bauhaus, Konstruktivismus und verwandten Strömungen entpuppt.

Es muss sich für den 1878 als Sohn eines Glasmachers auf Murano geborenen Zecchin als persönliche Niederlage angefühlt haben, als er 1921 sein brotloses Dasein als freier Künstler gegen den Posten des künstlerischen Leiters einer Firma eintauschte: Dort zählte die in Luxuswarenhäusern von London, Paris und New York verkaufte Stückzahl, Zecchins Entwürfe wurden in „nur gut“ und „genial“ unterschieden.

Als junger Mann hatte er versucht, aus der für ein Kind von den venezianischen Glasinseln vorprogrammierten Laufbahn auszubrechen. Viel Biografisches über ihn ist nicht bekannt. Nach dem Studium an der Accademia di Belle Arti in Venedig setzte er sich in den Kopf, mit Gemälden im Stil Gustav Klimts und als Grafiker ein Auskommen zu erwirtschaften. Ein Traum, der mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs platzte. Zecchin sattelte auf die weiterhin zumindest einigermaßen nachgefragte Gebrauchskunst um, setzte die überbordende Ornamentik seines Vorbilds in Tapisserien, in Wandbehängen, und auch in ersten Glasobjekten um.

Eine dieser frühen Vasen bildet den Anfang der Ausstellung. Um eine Frage aufzuwerfen, die im Kopf des Betrachters schnell von der Person Zecchin entkoppelt und auf die Kunstszenen Europas und der USA übertragen werden kann: Woher der ungeheuer schnelle, radikale Umbruch? Während Zecchin für das in den 1910er-Jahren entstandene Auftaktobjekt der Schau alle ihm zur Verfügung stehenden technischen Mittel ausreizte, um mit übervollen Mustern und schriller farblicher Disharmonie zu spielen, folgen die ab 1921 für Venini entstandenen Entwürfe einem um 360 Grad gewendeten ästhetischen Programm. Die Antwort, was Zecchin dazu bewog, die Schlichtheit als Maß aller Dinge zu inthronisieren, vermag die Coburger Ausstellung nicht zu beantworten.

Zecchin jedenfalls entwarf schließlich nur noch Formen, die an ihrer Mittelachse gespiegelt sind. Das Glas ist stets extrem dünn geblasen und – ob klar oder farbig – immer transparent. Verzierungen tauchen nur noch dort auf, wo sie zugleich einer Funktion dienen, zum Beispiel als Halter bei einem Trinkgefäß.
Wie die Ausstellung belegt, hatte Zecchin dabei stets den Anspruch, den roten Faden der Kunstgeschichte weiterzuspinnen, mal die Formensprache der Antike, mal – die „Veronese“ – des Barocks, dann wieder des Mittelalters aufzugreifen und zu aktualisieren.

Offene Fragen

Das kann man in Coburg gut verfolgen. Denn wann immer es den Kunstsammlungen möglich war, haben sie einem Venini-Glas ein Objekt aus ihrem Bestand zur Seite gestellt, das Zecchin konkret als Vorbild gedient hat oder haben könnte. Chronologisch endet die Schau im Jahr 1926 – wieder mit einer Frage, die allerdings ebenfalls unbeantwortet bleiben muss: Weshalb trennten sich der Künstler und der Firmengründer, obwohl Zecchins Gläser weltweit bestaunt, gefeiert und trotz horrender Preise gerne gekauft wurden? Schließlich wurde aus „Vetri Soffiati Muranesi Cappellin Venini & Co. schlicht „Venini“. Denn auch der Mitbegründer Giacomo Cappellini stieg aus. (Martin Droschke)

Information: Bis 10. Januar. Kunstsammlungen der Veste Coburg, 96450 Coburg. Täglich 9.30-17 Uhr.
www.kunstsammlungen-coburg.de

Abbildung: Vittorio Zecchins Veronese-Vase zeugt von zeitloser Formästhetik. (Foto: Kunstsammlungen der Veste Coburg)

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