Kultur

Details aus einem Handtuch des 19. Jahrhunderts. (Foto: Nicolai Kästner)

20.01.2023

Raffinierte Nadelmalerei

Das Museum Fünf Kontinente in München zeigt Stickerei auf Tüchern und Gewebtes aus osmanischer Zeit

Angesichts der vielen phantastischen, aufwendig gearbeiteten Exponate läge es nahe, bei dieser Ausstellung des Museums Fünf Kontinente in München, die In trockenen Tüchern überschrieben ist, in Gedanken „gut betucht“ zu variieren. Denn wer seinen Tischgästen solch wertvolle Servietten zu Händen reichte, wer sich mit solchen raffiniert verzierten Badetüchern im Hamam abtrocknete, signalisierte: „Ich kann mir das leisten.“ Aber das Sprachbild wäre nicht korrekt: „Gut betucht“ hat nichts mit teuren Textilien zu tun, sondern geht auf das Hebräische „batuah“ zurück. Das bezeichnet „sorglos leben“ ebenso wie „vertrauenswürdig“, ethymologische Varianten stehen auch für „sicher“ und „leise“. In diesem Sinn hat das dann doch indirekt mit dieser Schau im Museum Fünf Kontinente zu tun, die ein Kapitel aus der spätosmanischen Alltagskultur aufschlägt – vor allem aus der elitären, städtischen.

Exquisites für die Hygiene

Es geht um Tücher des gehobenen Lebensstandards – konkret um jene, die bei der Inszenierung häuslicher Gastbesuche Verwendung fanden, und um jene, die man im Hamam benutzte. Beide Male sind das Tücher für den hygienischen Gebrauch – Reinlichkeit, geistige ebenso wie physische, hat im Islam einen hohen Stellenwert.
Heute werden industriell gefertigte Papierservietten und Frottee- oder Baumwolltücher verwendet. Die Ausstellungsstücke stammen überwiegend aus dem 19. Jahrhundert, als man mit diesen speziellen Handarbeiten auch als Exportartikel international Staat machte: Unter anderem bei den Weltausstellungen 1851 in London und 1873 in Wien weckten sie das internationale Interesse. Sie wurden populär in Europa und selbst in Übersee, wer sammelte, profitierte letztlich von manchem Notverkauf im Ersten Weltkrieg verarmter Familien.

Das besondere Geschenk

Aber schon in den Jahrhunderten vorher fanden vor allem handbestickte Servietten den Weg in andere Länder: Etwa als diplomatische Geschenke – oft, vor allem am osmanischen Hof, waren sie das noble „Verpackungsmaterial“ für anderes, was man Gästen mitgab. Auch wer sich einen gehobenen Lebensstandard leisten konnte, gab schon mal solche Tücher seinen bewirteten Gästen zur Erinnerung mit. Dass diese Textilien nicht nur Showstücke waren, sondern tatsächlich benutzt wurden (man aß viel mit den Händen), lässt sich an Gebrauchsspuren und Ausbesserungen ablesen.

Eine besondere Bühne der Repräsentation war der Hamam, wo das Reinigungsritual zwar unabhängig vom gesellschaftlichen Status hochgehalten wurde, wo aber eigene Tücher (im Gegensatz zu entleihbaren) ebenfalls zur Außendarstellung eingesetzt wurden. Unter anderem konnten sich so junge Frauen vor den Müttern heiratsfähiger Söhne als gute Partie inszenieren. Und zwar nicht nur was das finanzielle Vermögen anging, sondern auch das eigene geschickte Können.

Denn gerade was die Aussteuer betraf, war es Ehrensache, diese Tücher selbst zu besticken. Oft wurden diese Textilien in Truhen aufbewahrt und nur zu bestimmten Anlässen herausgeholt – es gab spezielle Tücher fürs Brautbett, als Signal der Schwangerschaft, dann wieder welche, die das Wöchnerinnenbett zierten oder das Bett bei Beschneidungsritualen. Besonders solche eher selten benutzten Tücher haben sich gut erhalten.

Indes war diese Art der Textilstickerei nicht bloß gefälliger Zeitvertreib von Hausfrauen (auch im Harem wurde gestickt). Nein, im osmanischen Reich genoss sie eine herausragende Rolle innerhalb der dekorativen Künste, begegnet einem in sämtlichen Lebensbereichen (auch beim Militär) und wurde als professionelles Handwerk ausgeübt – auch von Männern, besonders wenn es um die schwere Stickerei beispielsweise auf Leder oder mit Silber- und Kupferdrähten ging. Eine Quelle des 17. Jahrhunderts berichtet, dass es damals allein auf den Istanbuler Märkten 60 Werkstätten mit je 100 Arbeitern gegeben haben soll.

Die leichte Stickerei auf Servietten, Hamamtüchern, Spiegeltüchern, Kopftüchern ebenso wie auf Unterwäsche war überwiegend das Metier der Frauen und damit eine der ganz wenigen Möglichkeiten, selbst etwas zu verdienen. Geschickte türkische Stickerinnen sollen sogar in vornehmen ungarischen Haushalten angestellt gewesen sein, wo man den osmanischen Brauch, solche Tücher zu verschenken, übernommen hatte.

Motive des Barock

Der Kulturaustausch ging aber auch in die andere Richtung: Ab Mitte des 18. Jahrhunderts schwappte die Welle der Begeisterung für Florales ins osmanische Reich. Neben abstrahierten Architekturelementen und nichtperspektivischen Landschaften wucherten Blätter und Blüten in Girlanden und Blumensträußen, man entdeckt Obstkörbe, Granatäpfel, Muscheln, Akanthusblätter, Zypressen und Lebensbäume, Füllhörner oder Brunnen mit Fontänen. Vieles hatte ikonografische Bedeutung: Schnabelkannen und bauchige Krüge, gar noch mit einem Kreis im Innern, deuteten Schwangerschaft und ein Ungeborenes an. Die S- und C-Formen wurden in der Stickerei Mode, deren Ton in der Regel der Hof angab. Schriftzüge tauchen auf, allerdings nicht immer korrekt: Wer gut stickte, konnte nicht unbedingt lesen und schreiben, sondern imitierte einfach Vorlagen.

Die Motive wurden teils vorgezeichnet, teils im Stickgrund ausgezählt, was Muster im Gewebe erleichterten. Gerade, schräg, verzahnt, gedreht: Die Sticker*innen hatten viele Varianten an Sticharten parat und wussten die optischen Reize durch den Wechsel von Technik und Material, durch eine subtile Farbwahl sowie Hell-Dunkel-Kontraste auszureizen. Besonders gut lässt sich das an den Abbildungen im Begleitbuch zur Ausstellung studieren.

Allerdings war nicht alles fehlerfrei. Und das war möglicherweise beabsichtigt: Was allzu makellos ist, auf das fällt eher der gefürchtete „böse Blick“. Sollte dieser insofern gebannt werden, indem eine Stickerin einer Hyazinthe nur ein einziges kleines Blättchen auffallend andersfarbig hinzufügte?

Das meiste dieser ausgestellten Fadenmalerei ist pastellfarbig – ursprünglich faszinierte sie auch durch Leuchtkraft. Besonders den Zauber von schimmernden und glitzernden, mit Gold- und Silberdraht umwickelten Seidenfäden oder von reinen Metallfäden muss man sich hinzuphantasieren – heute ist vieles davon korrodiert.

Gewebtes vom Land

Was allerdings nicht gleichermaßen verblasst ist wie die Textilstickerei, sind die gewebten Tücher, die man ebenfalls in der Ausstellung sieht: einerseits Nobel-Feines für die Stadtleute und den Hof – andererseits Gediegen-Robustes für die Landbevölkerung. Gewebe in Rot und Blau, bisweilen auch als Tatarentücher bezeichnet, hatten ihren Ursprung im anatolischen Nomadentum. Krappwurzel sorgte für kräftiges Rot, importiertes Indigo und Ende des 19. Jahrhunderts Anilinfarben aus Europa für intensives Blau.

Ihre Glanzzeit verlor die Tradition kunstvoller Stickerei mit dem Ende des Osmanischen Reiches – 1923 wurde die Republik Türkei gegründet. Genauso rapide wie die Alltagsgepflogenheiten änderten sich Techniken der Textilbearbeitung. Internationale Sammlungen retteten viele der alten Stickereien. Auch die entsprechenden Bestände des Museums Fünf Kontinente kamen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem durch Schenkungen und Spenden ins Haus. (Karin Dütsch)

Information: Bis 11. Juni. Museum Fünf Kontinente, Maximilianstraße 42, 80538 München. www.museum-fuenf-kontinente.de

Abbildung: Gewebtes Handtuch, um 1900.    (Foto: Nicolai Kästner)

 

 

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