Kultur

Charismatisch spielt Juliane Köhler die fast schon lethargische Genia Hofreiter. (Foto: Hans Jörg Michel)

14.10.2011

Reise in verhangene Seelenlandschaften

In Martin Kušejs Inszenierung von Schnitzlers "Weitem Land" zeigt das neue Staatstheaterensemble Eleganz und Perfektion

Man hätte beim Rummel um die Spielzeiteröffnung des Residenztheaters durch Martin Kušej fast übersehen können, dass es ja irgendwo auch um Schnitzler geht. Und der neue Hausherr reagiert darauf äußerst geschickt: Er entrummelt sämtliche Erwartungshaltungen und entstaubt lieber in aller gefälligen Gemütsruhe den Text der Tragikomödie Das weite Land aus dem Jahr 1911, spannt ihn auf wie einen Schirm gegen all den Regen, der auf der Bühne dann und wann trostlos herabschleiert.
Martin Zehetgruber hat eine Bühne hingestellt, die sich vorn in einem Guckkasten verengt und nach hinten meist durch herabhängendes Trauerweidengezweig verhüllt wird. Der Raum der Protagonisten ist beengt – das „weite Land“ dräut nicht irgendwo dort draußen, sondern im Personal selbst: Trauerweidenseelenland.
Dorthin begibt sich die Inszenierung bemerkenswert konsequent. Das Spiel um den Fabrikanten Friedrich Hofreiter und seine Frau Genia, um ihre intimen und ihre konventionellen Verbindungen zur Gesellschaft, durchleuchtet diverse Spiel- und Existenzformen der Liebe. Friedrich, der Ehebrecher, treibt seine Gattin zur Revanche, von beiden gehen amouröse Wellen aus, die alle um sie herum berühren, betören, beeinflussen – auch vernichten. Die Liebe ist die eigentliche Kraft, die die Geschichte vorwärts treibt. Die alles entscheidende, bis heute gültige Frage dabei ist: Ist es die Liebe, die alle Konventionen bricht, oder sind es die Konventionen, die sich zerstörerisch auswirken?
Diese Frage dekliniert Schnitzler durch sein Bühnenpersonal hindurch. Kušej folgt ihm dabei – und konzentriert sich ebenso solide wie wirkungsvoll auf Sprache und Spiel. Das Ergebnis sind drei Stunden edler Schauspielkunst.
Die Formen von Liebesverlangen und Liebesvermögen zeigt jede der Versuchsanordnungen dort auf der Bühne, die Protagonisten erscheinen wie Schmetterlinge unter der Sammlerlupe. Tobias Moretti beispielsweise ist als Friedrich Hofreiter überzeugend der Kern aller libidinöser Kettenreaktionen. Ausgestattet mit pfundweise Charisma steht Juliane Köhler als seine Frau, randvoll mit Melancholie, fast schon lethargisch am Rande des Liebeskarussells, als Ufer, an dem sich der junge Soldat Otto (Gunther Eckes zwischen Disziplin und Leidenschaft) bricht.
Britta Hammelstein als junge Erna Wahl, die Friedrich liebt: voll mädchenhafter Hingabe. Markus Hering als Familienfreund Doktor Franz Mauer, der wiederum Erna gewinnen will und an seinen besten Freund verliert: voll eherner Gefasstheit. Eva Mattes als Ottos Mutter, die weiß, dass sich Sohnesliebe nur in Freilassen äußern kann: voll menschlicher Wärme, souverän glücksstrahlend.
Und so könnte dies weitergehen: Kušej hat ein Ensemble, das die blanken, traditionellen Gesten und Ausdrucksformen des Theaters, auf die es in dieser Inszenierung ankommt, mit so großer Eleganz und Perfektion ausspielt, dass die Eröffnung der neuen Spielzeit am Bayerischen Staatsschauspiel bemerkenswert leise, unprätentiös und uneitel daherkommt – als eine Art Grundierung dessen, was da noch alles folgen mag. (Christian Muggenthaler)

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