Kultur

Vladimir Baykov als Schiwago und Michaela Schneider als Lara. (Foto: Jochen Quast)

30.01.2015

Russisches Herzblut

Uraufführung von Anton Lubchenkos Oper "Doktor Schiwago" in Regensburg

Düster treibt der Sturm die Wolken über den Himmel, feldgrau ist alles im Lazarett des 1. Weltkriegs. Zusammengeschossen durch die deutschen Kanonen ist das „Haus Russland“, das für die Uraufführung von Anton Lubchenkos Oper auf der Bühne des Regensburger Theaters steht. Der russische Senkrechtstarter im Musikbetrieb zwischen St. Petersburg und Wladiwostok hat Boris Pasternaks Welterfolg Doktor Schiwago in der Tradition der großen Literaturopern von Tschaikowsky oder Prokofiew vertont. Seine Tonsprache allerdings umfasst sehr viel mehr: die stampfenden Rhythmen in der Nachfolge von Igor Strawinsky, die grellen Karikaturen von Dmitri Schostakowitsch. Und wenn die Gefühle überborden, dann darf es auch wie Puccini klingen. Aber es klingt nie langweilig trotz, der weit über drei Stunden, die die neun Szenen in der Inszenierung von Silviu Purcarete dauern.

Kaum endender Beifall


Ihm hatte Lubchenko noch kurz vor der Premiere „antirussische Tendenzen“ vorgeworfen, hatte sich –  zugleich Librettist der Oper und Uraufführungsdirigent mit dem engagiert mitgehenden Philharmonischen Orchester Regensburg – bis hin zum Schwächeanfall übernommen. Da lagen bei den Theaterleuten die Nerven blank, auch bei Intendant Jens Neundorff von Enzberg. Durfte er doch hoffen, mit dem Kompositionsauftrag an Lubchenko den großen Coup gelandet zu haben.
Was Lubchenko an der Bühnenfassung nicht gefallen hat („ein völlig verzerrtes, klischeehaftes Russlandbild“), kann man nur schwer nachvollziehen. Jedenfalls ließ er es an Temperament bei der Umsetzung seiner multistilistischen, spannend instrumentierten und immer vor Energie bebenden Oper nicht fehlen: mit seinen kaum 30 Jahren ein Energiebündel im Orchestergraben (zugegeben ein Gergiev-Jünger), von Schwächeanfall gottlob keine Rede mehr und am Ende in den kaum endenden Beifall des Regensburger Uraufführungspublikum mit einbezogen.
Auch für seine Partitur, bei der es keine Verständnisschwierigkeiten gibt, die Pasternaks Opus nicht nur illustriert, sondern so russisch sein will wie in Zarenzeiten. Der wichtigste musikalische Bezugspunkt: Mussorgskys Boris Godunow mit seinen Volkschören, mit den grellen Charaktertenören. Nicht nur deshalb hat Lubchenko auf einem Gutteil russischer Sänger, zumeist aus Petersburg, bestanden und auf einer Aufführung in der russischen Originalsprache: Kolorit und Authentizität waren damit gesichert.
Zitate gehen zurück bis zum Revolutionsführer, der wie ein Marquis de Sade mit Krätze in der Badewanne sitzt. „Anton Lubchenko nimmt Maß an den großen russischen Komponisten“, hieß es bei der Einführungssoirée, und, er könne „originell für die Stimme schreiben.“ Was man nur bestätigen kann: In Rezitativen, Arien, dem Sprechgesang gegen Ende gelingen Lubchenko und seinen Sängern packende Szenen.
Dem Schiwago des Heldenbaritons Vladimir Baykov mit seiner Wotanstimme (auch mit seinem nie überzogenen, glaubhaften, überzeugenden Spiel), der immer mehr mit der Figur von Pasternak verschmilzt. Oder der fabelhaften Michaela Schneider. Sie ist zwar nicht das von Krieg, Revolution und Stalinterror geschundene „Mütterchen Russland“, aber sie ist die Frau, die unter der russischen Geschichte des letzten Jahrhunderts leidet: als Krankenschwester, Ehefrau, Geliebte, Mutter – am Ende in zerlumpten Klamotten, mit verwilderten Haaren und dem Bild des jungen Pasternak in Händen.

Suggestives Bühnenbild


Die gesangliche und schauspielerische Umsetzung dieser realen und zugleich symbolhaften Figur ist Schneider perfekt gelungen. Was sonst an russischen und deutschen Sängern Charakterstudien abliefert, tut dies mit treffsicherer, oft karikierender Wirkung. Das Nach- und Ineinander der Szenen wird bruchlos ermöglicht durch Helmut Stürmers äußerst wandlungsfähiges, suggestives Bühnenbild. In dessen Mittelpunkt steht mit zerschossenem Dach immer wieder dieses Haus, mal Lazarett, mal Scheune, mal aus den Versenkungen erweitert, visionär vom Sturm gebeutelt oder von Flammen aufgefressen – auch technisch eine Meisterleistung des Regensburger Theaters, das seine Kräfte aufs Äußerste angespannt hat, um diesen expressiven Realismus in beeindruckende Bilder umzusetzen.
Soll man sich in den Sog dieses packenden Nationalepos’ hineinziehen lassen oder intellektuell-kritische Distanz wahren? Das wird die Frage in den zwölf Vorstellungen sein, die das Regensburger Haus mutig angesetzt hat. Die bieten nicht nur farbig-faszinierende Unterhaltung bis hin zur Beschwörung der Apokalypse, sondern auch viel Diskussionsstoff angesichts des derzeitigen russischen Zurück zu alter imperialer Größe. (Uwe Mitsching)

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