Kultur

Intensiv spielen Sibylle Canonica und Max Mayer die Trostlosigkeit, die Fanny und Herbert umgibt. (Foto: Adrienne Meister)

18.11.2022

Schaurig-grotesk – wie im echten Leben

„Der Stiefel und sein Socken“ als Achternbusch-Würdigung im Münchner Marstall

Nichts ist absurder als das wahre Leben. „Das geht fei nicht“, ärgerte sich bei der Premiere eine Kritikerin über einen Mann vor ihr. Er las mit einer kleinen Lampe mit. „Ich muss soufflieren“, zischte er zurück. „Ach so, na dann.“ Diese Szene passte perfekt zu Herbert Achternbuschs Der Stiefel und sein Socken, vom Residenztheater auf die Bühne im Münchner Marstall gestellt. In dem Stück knüpft der im vergangenen Januar verstorbene Münchner an das absurde Theater an.

Zwei Menschen stehen herum, reden über Eier und Brennholz, über die Liebe und das Leben. Oder sie schauen einem stummen Römer zu, wie dieser Steine schlägt. Ihr Leben ist ein sinnloses Warten. Sie sind auf sich selbst zurückgeworfen, der Welt wie auch sich selbst völlig entfremdet. Sie gleichen den Landstreichern aus Samuel Becketts Warten auf Godot oder dem alten Ehepaar aus Eugène Ionescos Die Stühle: beides Klassiker des absurden Theaters der frühen 1950er-Jahre.

Vieles bleibt im Dunkeln

Auch Herbert und Fanny sind bei Achternbusch ein Paar, sonst aber bleibt vieles im Dunkeln. Immerhin wird allmählich klar, dass Herbert als einstiger junger Wehrmachtssoldat an einem Kriegstrauma leidet. Er hat sogar einmal ein Gedicht verfasst, das einzige in seinem Leben. Auch Fannys Leben ist von Trostlosigkeit gezeichnet. Bei ihr bleibt unklar, warum sie auf eine Frau aus Hamburg eifersüchtig ist. Oder gibt es diese Schauspielerin vom Hamburger Schauspielhaus gar nicht? Sind das alles nur leere, hohle Träume, mit der die eigene Trostlosigkeit schöngeredet werden soll?

In seiner zutiefst poetischen Inszenierung für das Münchner Residenztheater arbeitet Jan Höft einmal mehr mit kluger Reduktion. Umso mehr werden dem Spiel und der Interpretation szenische Freiräume geschenkt. Mit diesem Profil hat sich der 1993 in Frankfurt geborene Höft schon in seiner ersten eigenen Arbeit Stramm – Eine Intervention als ausgesprochen umsichtig agierender Regisseur präsentiert. Er vereint Sinn und Sinnlichkeit, begegnet den handelnden Personen mit liebevoller Empathie, ringt den Stoffen zugleich viel Musikalität ab. Ihm gelingt auch mit seiner zweiten eigenen Arbeit wieder ein berührender Theaterabend. Es ist zugleich sein Abschied vom Münchner Residenztheater, wo er seit 2019 als Regieassistent wirkt.

Für seine Achternbusch-Inszenierung hat sich Höft ziemlich viel vorgenommen. Die Uraufführung von Der Stiefel und sein Socken kurz vor Weihnachten 1993 an den Münchner Kammerspielen hatte Achternbusch seinerzeit selbst inszeniert. Für seine eigene Sicht hat Höft auf das bewährte Team zurückgegriffen, wie man es von seiner Stramm-Regie kennt. Für die Bühne hat Jonas Vogt ein großes Gestell entworfen. Noch steht es nah am Publikum, bald rollt es in den Hintergrund. Dahinter sitzt zunächst Arnulf Schumacher als stummer Römer. Gegen Ende wird er zum Alter Ego von Herbert. Vorne begegnen sich Sibylle Canonica als Fanny und Max Mayers Herbert.

Die Musik von Valerio Tricoli punktet wie in Stramm mit atmosphärisch wirkungsvoller Dichte, ohne sich penetrant aufzudrängen. Umso intensiver ist das Spiel von Mayer und Canonica: Wenn er sie mit einer Schubkarre über die Bühne kurvt, könnten diese zwei Menschenleben nicht trostloser wirken. Eine schaurig-schöne, poetisch groteske Würdigung zum Geburtstag von Herbert Achternbusch, der am 23. November 84 Jahre alt geworden wäre. (Marco Frei)

 

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