Kultur

Oma, Tochter nebst Freundin und Enkelin, gespielt von Jennifer Minetti, Franziska Rieck, Grit Paulussen und Ulrike Arnold. Foto: Dashuber

16.04.2010

Schreckschraubentrio und Cyberpunk

„Wir kommen gut klar mit uns“ im Münchner Marstall

Die Schleichwerbung ist Absicht: Mitten in der Vorstellung geht die Tür auf, und Arbeiter in IKEA-Montur tragen rote Ledersessel auf die Bühne. In denen fläzt sich dann ein affektierter Filmstar (knallig: Thomas Gräßle), der beim Fernsehinterview seinen Bauch mit dem Schriftzug von Knorr’s Suppenwürfeln entblößt. Aber schließlich ist der Irrsinn der schönen neuen Warenwelt Thema in Dorota Maslowskas Ossi-Farce "Wir kommen gut klar mit uns", die in München am Staatsschauspiel (Marstalltheater) ihre deutschsprachige Erstaufführung erlebte. An schräger Action herrschte kein Mangel, denn Regisseurin Tina Lanik sudelt für ihre Verhältnisse ganz schön rum. Auf einer Bühne voller Müllsäcke und Bauschutt (Magdalena Gut) sieht man Jennifer Minetti mit flackernder Eindringlichkeit eine polnische Oma spielen, die „den heiligsten Traum der Jugend“ träumt, sich erinnert an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Ihre kettenrauchende Tochter Halina (wandlungsfähig: Ulrike Arnold) fischt derweil alte Reklamezeitschriften aus dem Müll, und bestaunt, was sie sich nicht kaufen kann, während ihre fette Freundin Bozena (grellzart: Franziska Rieck als Wabbelweib in Jogginghosen) den Psychotest in der Illustrierten ausfüllt („Sie sind der Globetrottertyp“). Verstärkt wird das Schreckschrauben-Trio von der Enkelin im Cyberpunk-Outfit (Grit Paulussen), die mit dem Kinderrad durch die Müllhalden-Einraumwohnung kurvt – wenn sich die abgewrackten Nornen nicht vor dem Fernseher zum Körperhaufen ballen. Zwischendurch tritt wieder der Filmstar auf, der seine Oskars auspackt. Denn eigentlich, stellt sich raus, ist diese überdrehte Milljöh-Posse, in der alle bloß die Phrasen aus Frauenzeitschriften nachbrabbeln, Teil einer TV-Schnulze über „die herrschenden Ausgegrenzten“. Eine Ballung von Klischees eben, „Pixelmüll“ frisch aus dem „Photoshop“. Schade, dass die Regisseurin nicht mehr Mut zur schnellen, grellen Groteske hatte. Immerhin schraubt sie die Inszenierung an den besten Stellen zum absurden Theater hoch, in dem eine tragikomische Poesie der Verzweiflung aufblitzt. Da ist spürbar, dass die polnische Jungautorin die Mechanismen einer Bewusstseinsindustrie parodiert, die uns immer den selben werbewirksam aufgekochten Stereotypen-Brei vorsetzt, egal, ob ein Yuppie-Filmstar karikiert oder soziales Elend in Polen vorgeführt wird. Aber vielleicht ist ja diese „kritische“ Botschaft des Stücks selbst noch Schleichwerbung für irgendwas. (Alexander Altmann)

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