Kultur

Beeindruckend: der holländische Schauspieler Jeroen Willems in der Titelrolle. (Foto: Versweyveld)

11.03.2011

Schüchternes Kind im Körper eines Erwachsenen

„Ludwig II.“ nach Visconti an den Münchner Kammerspielen kombiniert inszenatorische Elemente von Kino und Bühne

Vor 125 Jahren ist er ums Leben gekommen, der „Kini“. Und wenn im Gedenkjahr die Märchenkönig-Maschine auf Hochtouren läuft, wollen auch die Münchner Kammerspiele nicht abseits stehen. Darum sorgen sie jetzt für etwas feudalen Glanz in ihrer bescheidenen Hütte: Da sieht man Hermelinmäntel und Gehröcke, funkelnde Kronen und Diademe, der König trinkt natürlich keinen Kir royal, sondern puren Champagner, und dazu gibt’s Glockenläuten oder festliche Krönungsmusik. Aber diese ganzen Märchenkönig-Accessoires sind nur wie museale Exponate in die kahle Bühnenumgebung (Jan Versweyveld) platziert, die von schwarzen Schiefertafeln begrenzt ist. Auf die wird Ludwig Zwo später Zeichnungen von Schlössern, Seen und Schwänen kritzeln, die nicht ganz zufällig an die Kunst von Geisteskranken erinnern. In der Mitte aber steht ein weiß-blauer Quader, in den die Schauspieler manchmal durch eine enge Tür schlüpfen. Sein Inneres, prächtig mit Rokoko-Goldstuck verziert, dient als typisches Kostümfilm-Setting, und was die Akteure dort treiben, wird folgerichtig per Videoprojektion live nach draußen übertragen, so dass sich die Zuschauer ein bisschen vorkommen wie im Kino.
Am Anfang hat Ivo van Hove also alles richtig gemacht. Denn wenn man schon einen Kinoklassiker wie Viscontis Ludwig II. für die Bühne adaptieren muss, dann so, dass man den Kontrast der beiden Gattungen ausspielt: Der belgische Regisseur zitiert ostentativ die Film-Ästhetik, um sie spannungsvoll mit den artifiziellen Stilisierungen des Theaters zu verschränken, die außerhalb des Quaders angesiedelt sind. So ergeben sich Verfremdungseffekte, die gerade durch ihre filigrane Komik dem abgenudelten Stoff unerwartete dramatische Virulenz verleihen. Weil die Schauspieler oft agieren, als würden sie weniger auf der Bühne, sondern vor der Kamera stehen, ist es witzig und packend zugleich, wenn Brigitte Hobmeier als quirlige Kaiserin Sissi auftritt, der großartige Wolfgang Pregler als Richard Wagner den durchtriebenen Giftzwerg gibt und Sylvana Krappatsch seine Geliebte Cosima, während Silke Avenhaus am Flügel Isoldes Liebestod spielt.


Minister als „Sachzwänge“


Und nur so, als Zitat, ist auch die psychologische Figurenzeichnung noch möglich, die in dieser Aufführung zelebriert wird. Allen voran von Jeroen Willems in der Titelrolle. Der beeindruckende holländische Schauspieler zeigt Ludwig als schüchternes Kind im Körper eines Erwachsenen, das sich vor den Zwängen der Regenten-Realität in die Gegenwelt ästhetischer Träume flüchtet. Die „Unreife“ und Naivität dieses zagen, linkisch-verdrucksten, leicht behindert wirkenden Sonderlings ist weniger ein Makel, sondern ein Kontrastmittel, das die Brutalität der Verhältnisse und „Sachzwänge“ sichtbar macht, die als Minister auftreten.
Schade nur, dass der Regisseur diesen so faszinierenden Clash der Kulturen von Film und Bühne nicht konsequent aufrechterhält. In der Mitte des gut dreistündigen Abends schaltet er die Video-Projektion aus und sorgt mit biederem Traditionstheater für einen einstündigen Durchhänger, den man streichen müsste. Erst am Schluss findet er zu seiner Form zurück: Wenn der entmachtete Ludwig da mit seinem Leibarzt Gudden (Oliver Mallison) zu dem tödlichen Spaziergang aufbricht, verlassen die beiden Schauspieler die Bühne durch eine Tür im Parkett. Dann sieht man sie per Video draußen an der Garderobe ihre Mäntel holen, durchs Foyer in die Maximilianstraße gehen und immer weiter in die nächtliche Stadt hinein. Merke: „Der Kini“ ist nicht einer von uns, aber wir sind alle ein bisschen wie Ludwig... (Alexander Altmann)

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