Kultur

Pascal Houdus gibt den Königssohn Sigismund als abgründig-kindischen Tyrannen. (Foto: Arno Declair)

30.11.2012

Sparifankerl in der Halfpipe

Calderóns "Das Leben ein Traum" im Münchner Volkstheater

Sie schlagen Saltos aus dem Stand und flitzen Steilwände hoch wie Eichhörnchen: Ganz ohne Skateboards führen die jungen Akteure artistische Meisterleistungen vor in einer gigantischen Halfpipe, die als Spielfläche dient – und als Riesenleinwand für Video-Projektionen, die das Geschehen auf der Bühne live verdoppeln. In diesem hippen Setting siedelt Nachwuchsregisseur Christopher Rüping am Münchner Volkstheater eine Geschichte an, die eigentlich davon handelt, wie gefährlich der Glaube an Astrologie und ähnlichen Firlefanz sein kann.
In seiner berühmten Komödie Das Leben ein Traum erzählt der spanische Barockdichter Calderón vom Königssohn Sigismund, den sein Vater Basilius gleich nach der Geburt in ein Verließ sperrt. Weil „die Sterne“ einst prophezeit hatten, der Thronfolger werde als brutaler Wüterich sein Reich verwüsten. Und genau so säuisch benimmt sich der Filius dann tatsächlich, als er mal für einen Tag auf Probe Herrscher sein darf. Was soll man auch anderes erwarten von einem, der, als Typus abgestempelt, durch seine „Lebensumstände“ 26 Jahre lang systematisch zum Tier gemacht wurde.
Also hüpft der wilde Prinz (Pascal Houdus gibt einen abgründig-kindischen Tyrannen) als nackter Sparifankerl im wabernden Bühnennebel aus einer Bodenluke, befiehlt den Untertanen kollektiv zu muhen wie Rindviecher, geht Hofdamen an die Wäsche und lässt Edelleute über die Klinge springen. Ein klassischer Fall von „Self-fulfilling prophecy“.
Insofern ist es schon mehr als ein äußerlicher Aktualisierungs-Gag, wenn der Regisseur die Geschichte in die Sphären vulgärer Massenbespaßung verlegt und ein quietschfideles Pipapop-Event inszeniert, irgendwo zwischen Musical und Royals-Klatsch der Yellowpress.
Denn die gute alte Frage nach der Identität, die bei Max Frisch noch existentialistisch vor sich hin grummelte, ist längst ausgewandert aus den Gefilden gemütlichen Grübelns. In Zeiten der Populärkultur herrscht der Terror konfektionierter Rollenmuster, die uns die Bewusstseinsindustrie aufs Auge drückt: Die Opfer von Hollywood, MTV oder Bunte kommen der Fremdbestimmung durch die Personality-Schablonen nicht aus – eben das haben sie mit Prinz Sigismund und den Höflingen des Basilius gemeinsam.
Rund 40 Minuten lang funktioniert die Inszenierung, die solche Parallelen ausreizt, hinreißend gut. Da wechselt flapsiges Alltags-Gewäsch mit streng rhythmisierten Versen, da gibt es hochkonzentrierte, aber doch spielerisch locker wirkende Szenen und Bilder von verhaltener Künstlichkeit und bitterer Komik.
Schon gleich zu Beginn schlägt der deutlich herausragende Oliver Möller das Publikum in Bann, wenn er den König Basilius als leicht konfusen Conferencier mit Pappkrone verschiedene Herrscher-Rollen von Lear bis Nero durchprobieren lässt. Schade, dass der Regisseur nach einem tendenziell genialen Anfang den Faden verliert, so dass die Aufführung ins Formlose zerfasert.
Trotzdem: Das beachtliche Potenzial, das in Christopher Rüping steckt, war an diesem unterhaltsamen Abend klar erkennbar. Heftiger Applaus.
(Alexander Altmann)

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