Kultur

Beeindruckendes Bild: Florestan (Sunggoo Lee), gefangen im Netz. (Foto: Olah)

10.06.2016

Staatliche Willkür und Vollzugsterror

"Töt’ erst sein Weib" interpretiert Beethovens "Leonore-/Fidelio"-Stoff neu

Als ob es nicht schon genug Ouvertüren zu Beethovens Leonore oder Fidelio gäbe! Aber es ist vieles anders in dieser Produktion von Staatstheater/Musikhochschule/Hans-Sachs-Chor Nürnberg. Und so dirigiert Guido Johannes Rumstadt als Vorspiel Wolfgang Rihms Ländler für 13 Streicher, bevor die Zuschauer noch die Personenkontrolle und die Käfige mit den Gefangenen für die Premiere von Töt’ erst sein Weib passiert haben. THW-Halle heißt heute jener Teil der NS-Kongresshalle, ist einbezogen in das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände – man kann sich in Nürnberg keinen passenderen Schauplatz denken für das Drama um Leonore, die ihren Mann in den Gefängnissen des Landes sucht. Besonders auch für den Laborcharakter der Urfassung Leonore mit der Offenheit gesprochener Dialoge, mit dem Misserfolg der Uraufführung, die schon Beethoven zu Umarbeitung von Text und Musik zwang.

Fremdtexte einbezogen

Umgearbeitet hat das Produktionsteam von Regisseur Stefan Otteni und den beiden Dramaturgen Kai Weßler/Christina Schmidl die Vorlage gründlich, hat die Abfolge umgestellt, fremde Texte einbezogen, schließlich auch den brav-biederen Vollzugsbeamten Rocco und den Gouverneur des Gefängnisses, Don Pizarro, zu einer Person zusammengezogen: „Familienvater und Lagerkommandant“, biederes Familienleben in Nachbarschaft zu blutiger Repression und Folter. Kaum hat man auf den Marter-Hockern in der Beton- und Backsteinhalle Platz genommen, kommt noch einer auf dem Fahrrad und irrlichtert eine Frau durch die Reihen: er zu seinem Gefängnisdienst, sie auf der Suche nach ihrem Mann. Vergeblich, denn alle Staatsanwaltschaften und Amtsstuben blockieren: „Dafür sind wir nicht zuständig.“ Leonore gibt es in dieser Fassung zwei Mal: Die Schauspielerin Elke Wollmann lässt sich nicht abwimmeln von den harschen Bescheiden des fiesen Folterspezialisten (Stefan Herrmann), behelligt das Publikum mit ihren Fragen. Daneben die Leonore der Margarita Vilsone mit jugendlich ausdrucksvollem Sopran und schöner Ausstrahlung. Viele Regisseure kommen nicht zurecht mit der Parallelität von Isolationshaft für Florestan und der bürgerlichen Beamtenidylle bei Rocco. Otteni und seine Bühnenbildner Peter Scior, Ayse Özel haben das auf einen Karren verfrachtet: ein Blumengärtchen, Roccos Tochter Marzelline in Gummistiefeln und Schrammelmusik dazu.

Grauenvolles Dunkel

Man erfährt viel in diesen anderthalb Stunden über Haft und Folter, über staatliche Willkür und Vollzugsterror und wie das alles gerechtfertigt wird. Man hört aus den „Berichten aus Guantanamo“ des Häftlings Murat Kurnaz, aus aktuellen Berichten über syrische Hinrichtungsmethoden, aus Reden des deutschen Außenministers. Und Florestan (Sunggoo Lee) klagt aus seinem riesigen Netz hoch über dem Hallenboden über das grauenvolle „Dunkel hier“. Sehr intensiv ist das alles, eine packende Zustandsbeschreibung, dicht verwoben mit der Leonoren- und späteren Fidelio-Musik, die Rumstadt mit dem Hochschulorchester und viel Gespür für düstere Poesie dirigiert. Die Schauspieler/Sänger suchen immer Kontakt mit dem Publikum, wollen es von ihren Standpunkten überzeugen. Geradezu körperlich peinigend werden Verhörmethoden demonstriert – da zweifelt man zu Recht an Marzellines Behauptung: „Wir werden glücklich sein.“ Glücklich ist niemand am Ende: Florestan wird per Hebebühne aus seinem Netz befreit, umarmt den Peiniger Pizarro länger als seine Befreierin und verschwindet in eine zweifelhafte Freiheit. Am meisten bleibt einem der Gefangenenchor in Erinnerung, der einer sich ins Grüne nach draußen öffnenden riesigen Tür entgegensingt.
Eine absolut sehens- und hörenswerte Aufführung. (Uwe Mitsching)

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