Kultur

Im Kampf um die Macht gibt sich Eteokles (Nicolas Streit) zwar komisch und als trotziges Kind, was ihn aber nur umso gefährlicher macht. Im Hintergrund Ines Hollinger und Nina Steils als Chor der Phönizierinnen. (Foto: Gabriela Neeb)

05.07.2019

Süffisanter Bilderreigen

„Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“ ist im Münchner Volkstheater ein packendes und kurzweiliges Schauspielerfest

Puh, das scheppert ganz gewaltig! Gerade hatte man sich’s eine halbe Stunde lang bequem gemacht im Münchner Volkstheater, da blitzt es unvermittelt, und ein grauer Felsbrocken knallt mit voller Wucht aus dem Bühnenhimmel herab auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Nach diesem Schreck ist garantiert jeder Zuschauer wach, aber zum Wegdämmern gab es ohnehin keinen Grund. Denn Regisseurin Mirja Biel gelang zum Abschluss der Saison ein packendes, kurzweiliges Schauspielerfest und ein süffiger Bilderreigen dazu.

Aber dafür bietet sich Martin Crimps Antiken-Adaption Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino (2013) ja bestens an. Das Stück des englischen Erfolgsautors ist eine gekonnt aufgefrischte Fassung von Euripides’ Phönizierinnen, der Geschichte über die Söhne des Ödipus, Eteokles und Polyneikes, die sich im Krieg um die Herrschaft über Theben gegenseitig um- und eine Menge Leid über ihre Völker bringen. Weshalb als Symbol des Elends nicht nur Steine, sondern auch tote Vögel auf die offene Bühne (Matthias Nebel) regnen.

Desolates Königs-Loft

Ein paar edle Ledersessel stehen planlos rum im desolaten Königs-Loft von Theben, und rechts ist eine Gummizelle mit schalldichter Tür eingebaut, hinter der Ödipus verwahrt wird. Was aber auch nicht verhindern kann, dass in so einer verkorksten Familie alle unter massiven Komplexen leiden. Polyneikes beispielsweise hat eine Elfjährige geheiratet und ist bei Timocin Ziegler der coole Kriegertyp, dessen Lässigkeitspose nicht verschleiern kann, dass in ihm eine manische Getriebenheit waltet. Nicolas Streit hingegen gibt Eteokles wunderbar komisch als tuntigen Gockel mit Glitzermantel und Pelzkragen, ohne die Figur zur Knallcharge zu verflachen. Er lässt vielmehr das trotzige Kind durchschimmern, das in diesem Machtbesessenen steckt – und ihn besonders gefährlich macht.

Beider Schwester Antigone ist bei Pola Jane O’Mara ein sympathisch eigenwilliger Dickkopf. Großartig auch Mara Widmann als damenhafte Iokaste, die versehentlich ihren Sohn Ödipus geheiratet hat, weshalb sie beim Versuch, im Abgrund des Schreckens Würde zu bewahren, zwischen Fragilität und Verhärtung changiert.

Der blinde Seher Teiresias wiederum ist bei Silas Breiding eine antike Dragqueen mit lackierten Nägeln und veranstaltet bei seinen Prophezeiungen ein schamanisches Brimborium mit Gnu-Gehörn und ekstatischem Gezucke. Kreon schließlich, den Onkel der feindlichen Brüder, spielt Jonathan Müller als schnöseligen Start-up-Fuzzi mit Dreitagebart, der nach deren Tod die Herrschaft auf fragwürdige Weise an sich reißt.

Durchtriebene Luder

Aber die Hauptsensation sind die Mädels: der „Chor“ der Phönizierinnen, bestehend aus Ines Hollinger und der grandiosen Nina Steils. Obwohl sie mit ihren altmodischen Pensionatskleidchen kreuzbrav aussehen, entpuppen sie sich als durchtriebene Luder. Die frechen Kicher-Gören mit roten Pupillen erweisen sich als heimliche Spielmacherinnen, die den anderen Figuren Text vorsagen, den diese oft widerwillig nachsprechen. So sind die Mädchen eigentlich Schicksalsgöttinnen, Parzen im Lolita-Look, denen keiner entgeht. Fast wie im richtigen Kino eben. (Alexander Altmann)

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