Kultur

Kyle Ketelsen singt und spielt bravourös den Kaspar. (Foto: Wilfried Hösl)

19.02.2021

Teuflischer Psycho-Horror

Der neue „Freischütz“ an der Bayerischen Staatsoper zeigt einen traumatisierten Söldner

Manchmal schließt sich der Kreis. Vor rund 30 Jahren hat Nikolaus Bachler den Samiel aus dem Freischütz von Carl Maria von Weber gesprochen. Es war sein Münchner Staatsopern-Debüt. In seiner letzten Spielzeit als Intendant des Hauses kehrt er nun zu diesem Werk zurück. Allerdings verzichtet die Neuinszenierung von Dmitri Tcherniakov (coronabedingt als Live-Stream) auf die Partie des Teufels – jedenfalls kommt er nicht direkt vor.

Für Tcherniakov steht Samiel für das Böse im Menschen, und besonders schlecht ist es um Kaspar bestellt. In der Wolfsschlucht-Szene kauert er auf dem Boden, fuchtelt mit einem Klappmesser herum. Sein Blick ist ebenso starr wie wirr. Dieser Kaspar braucht keinen faustischen Pakt zu schließen: Er selbst ist der Teufel. Neu ist diese Idee nicht, aber wie Kyle Ketelsen hier den Kaspar singt und zwischendurch den Samiel spricht, völlig schizophren, das ist echter Psycho-Horror.

Im Übrigen wirkt der neue Freischütz etwas überinszeniert und gleichzeitig nicht zu Ende gedacht. Er spielt nicht in einem Wald, sondern in einem Unternehmen. Dieses Einheitsbild im holzfarbenen Retro-Schick der 1950er/60er-Jahre hat Tcherniakov selbst entworfen. Die Kostüme von Elena Zaytseva spiegeln die Charaktere der Personen wider. So präsentiert sich der Kuno von Bálint Szabó als Unternehmer und Großkapitalist mit Zigarre im Mund. Sein Pendant ist der hadernde Max von Pavel (C)ernoch. In der testosterongesteuerten Machowelt wirkt dieser Loser ziemlich verloren. Er möchte Kunos Tochter Agathe heiraten – damit hat auch sein Widersacher Kaspar Probleme.
Schon die Ausstattung verrät, dass dieser Kaspar ein traumatisierter Söldner ist. Das Unternehmen scheint in der Rüstungsindustrie aktiv, was die Sache noch gefährlicher macht. Aus den Firmenfenstern wird auf Passanten gezielt, ein Mensch wird getroffen.

Oder ist das alles nur Fake, um Max infernalisch in den Wahnsinn zu treiben? Am Ende fällt der böse Kaspar jäh. Bis dahin mischt das emanzipierte Ännchen von Anna Prohaska eifrig mit. Sie hatte offenbar eine Liebelei mit Agathe. Wenn sie ihrer Freundin die Schachtel mit der Totenkrone statt dem Jungfernkranz überreicht, bekommt das eine neue Färbung.

Unlogische Kameraführung

Doch es bleiben viele Fragen offen. Auch die eingeblendeten Texte, die für die innere Zwiesprache der Personen stehen, helfen nicht weiter. Wenn Max zudem im Wahn lacht oder jammert, greift Tcherniakov tief in die Mottenkiste der Dramaturgie. Auch die gesprochenen Dialoge bleiben Fremdkörper. Beim Live-Stream stochert die Kameraführung häufig ins Leere. Allzu oft werden Instrumente oder Personen eingeblendet, die in dem Moment keine exponierte Rolle spielen.

Es ist das Solistenensemble, das mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Antonello Manacorda absolut glänzt. Der Weber Manacordas klingt weder wie ein Wagner-Prophet noch wie ein Belcanto-Nacheiferer. Er steht ganz in seinem Hier und Jetzt, von Franz Schubert bis Felix Mendelssohn. Von diesem hellhörigen Profil profitieren die Solistinnen und Solisten, allen voran die überragende Golda Schultz als Agathe. In ihrem Lyrismus, warm in der Tiefe und weich in der Höhe, erwächst eine weite Melancholie. Daran kann man sich nicht satthören. (Marco Frei)

 

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