Kultur

Statt göttlich-herrschaftlicher Pyramiden sieht man eine riesige Aschehalde, auf der Aida kauert. In der Titelpartie begeistert Elena Stikhina. (Foto: Wilfried Hösl)

19.05.2023

Todgeweiht in der Trümmerwüste

Die neue Verdi-„Aida“ von Damiano Michieletto an der Bayerischen Staatsoper polarisiert

Diese Ägypten-Oper bleibt wohl auf ewig mit dem Pyramiden-Kitsch und Elefanten-Triumphbombast von Franco Zeffirelli verbunden. Wie kein anderer hat der 2019 verstorbene Regisseur mit seiner pompös-plüschigen Ausstattungsinszenierung die Rezeption der Aida von Giuseppe Verdi geprägt. Diese Sehgewohnheit hält sich hartnäckig. Vielleicht wurde deswegen in Teilen des Premierenpublikums an der Bayerischen Staatsoper die Neuinszenierung der Aida von Damiano Michieletto ausgebuht.

Auch diese Regiearbeit lässt Pyramiden assoziieren: hier als pechschwarzen Berg aus Asche, der pyramidenförmig in den Theaterhimmel ragt. Im dritten Akt hockt die äthiopische Sklavin Aida (Elena Stikhina) auf dieser staubigen Halde. Sie wartet auf Radamès. Zwischen ihr und dem Feldherrn, der Ägypten über Äthiopien siegen ließ, flammt eine brisante Liebe. Im vierten Akt hockt Brian Jagde als Radamès auf dem Ascheberg und wartet auf sein Todesurteil, weil er Aida Kriegsgeheimnisse verraten hat. Am Ende warten Aida und Radamès gemeinsam vor dem Ascheberg auf den Tod: lebendig eingemauert.

Verkrüppelte Sieger

Auch den Triumphmarsch samt den „Aida-Trompeten“, die Verdi nach altägyptischen Vorbildern anfertigen ließ, spart Michielettos Regie nicht aus. Allerdings poltern bei ihm nicht Elefanten über die Bühne. Vielmehr humpeln Militärs auf Krücken oder sitzen in Rollstühlen. Sie mögen gesiegt haben, kehren aber als Traumatisierte und Verstümmelte zurück – sie werfen ihre Verdienstorden auf den Boden. Im Krieg gibt es eben keine Sieger, sondern nur Verlierer. Das ist die zentrale Botschaft in dieser starken Neuinszenierung.

Wie sehr Michieletto mit dieser Sicht offenbar einen Nerv getroffen hat, offenbarte nicht nur die Reaktion des Publikums zwischen Zustimmung und Ablehnung. So fragte sich ein Kritiker des Bayerischen Rundfunks, ob dieser „entschiedene Pazifismus noch in unsere Gegenwart“ passe. Wie heute die Ukraine habe das von Äthiopien angegriffene Ägypten das Recht, sich zu verteidigen. „Gut, dass es kampfbereite Soldaten gibt“, so das Fazit. Doch genau darum geht es der Regie gar nicht. Michieletto stellt keineswegs das Recht auf Verteidigung infrage. Er stellt lediglich die berechtigte Frage in den Raum, ob es in derartigen Konflikten überhaupt Gewinner geben kann.

Klare Position

Diese Aida-Regie punktet mit klarer Position und funktioniert besser als die von Christof Nel von 2009. Zu Beginn wird ein Raum gezeigt, der im Entwurf von Paolo Fantin wohl einstmals ein Schulzimmer war; dafür sprechen der abmontierte Basketballkorb und die Kinder im Raum. Oben an der Decke klaffen riesige Löcher, verursacht von Einschlägen. Aus ihnen rieselt bald Asche herunter. Diese Szenerie erinnert an die Bilder von zerstörten Gebäuden in der Ukraine, zusätzlich verstärkt durch die Ausstattung von Carla Teti.

In dieser Trümmerwüste legt Michieletto den Fokus auf menschliche Schicksale. Ein gefallenes Kind wird herangetragen, die Mutter bricht stumm über dem Sarg zusammen. Der siegreiche Feldherr Radamès setzt sich bei seinem König (Alexandros Stavrakakis) für die Gefangenen aus Äthiopien ein. Darunter befindet sich auch der Vater seiner geliebten Aida: Amonasro (George Petean), der König Äthiopiens. Die Priester, allen voran der Oberpriester Ramfis (Alexander Köpeczi), wollen alle Gefangenen niedermetzeln, Radamès kann das verhindern. Aber die Königstochter Amneris (Anita Rachvelishvili) ist wie Aida ebenfalls in ihn verliebt – es ist ein tödliches, auch von Politik vergiftetes Dreieck.

Das unter Daniele Rustioni wirkungsvoll, aber niemals effekthascherisch aufspielende Bayerische Staatsorchester und die grandiosen Chöre liefern für diesen Blick in den Abgrund die passende Exegese. Mit ihrem einnehmenden Spiel gelingt Rachvelishvili als Amneris eine eindringliche Charakterstudie. Diese Königstocher schwankt zwischen Rachsucht und Zweifel, Selbstzerstörung und Liebe, um am Ende für ihren Furor bitter zu zahlen. Leider war Rachvelishvilis Gesang mit sattem Dauervibrato und den portamentogesättigten Manierismen schwer zu ertragen, auch in der Intonation. Einen im Timbre schicksalhaft verdüsterten Radamès zeichnet der Tenor Jagde. Doch die große Siegerin der Premiere war Stikhina. Ihre Aida gestaltet die Russin mit stupender Agilität und Empathie. Im tosenden Premierenbeifall sank sie zu Boden, war zu Tränen gerührt. (Marco Frei)

 

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