Kultur

Sophie Rennert als Charlotte und Lucian Krasznec in der Rolle Werthers sind grandios in Gesang und Darstellung. (Foto: Jean-Marc Turmes)

24.02.2023

Tödliche Leidenschaft

Herbert Föttinger inszeniert Jules Massenets „Werther“ am Gärtnerplatztheater als großes Drama

Sie fallen übereinander her, kauern bald eng umschlungen auf dem Boden, fast gänzlich entblößt. Die Leidenschaft überkommt sie wie ein gewaltiger Tsunami. In diesem Moment brechen Werther und Charlotte aus dem engen Korsett der gesellschaftlichen Konvention aus: der Welt total entrückt, vereint allein im zweisamen Glück.

Es ist dies einer der stärksten Momente der Neuinszenierung von Jules Massenets Goethe-Oper Werther, die Herbert Föttinger für das Gärtnerplatztheater in München realisiert hat. In diesem Augenblick vergessen die beiden Liebenden die Welt um sich herum, um ihre echten Wünsche und Gefühle auszuleben. Wie Lucian Krasznec und Sophie Rennert diese verbotene Liebe ausgestalten, das ist große Gesangs- und Darstellungskunst.

Hadern mit der Welt

Der in der Höhe bisweilen fast schon brüchig wirkende Tenor von Lucian Krasznec macht hier einen höchst fragilen Charakter hörbar, verkörpert, wie Werther mit sich und der Welt hadert. Mit ihrem Mezzosopran, der gleichsam zwischen heller Luzidität und voller Tiefe changiert, ringt wiederum Sophie Rennert der Charlotte eine packend differenzierte Zerrissenheit ab. Sie möchte nicht die Ehe mit Albert brechen, zumal ihre verstorbene Mutter genau diese für sie wollte. Sie verrät dabei ihre eigentliche Liebe zu Werther.

Der Moment, wenn beide die Begierde packt, läuft Gefahr, furchtbar kitschig zu geraten. Doch dafür ist die Regie von Herbert Föttinger und seine Personenführung zu raffiniert und musikalisch durchdacht. Allein die Bühne von Walter Vogelweider ist ein genialer Schachzug. Im ersten Akt öffnen sich drei Räume hintereinander, wobei jeweils offene Türen die Perspektive ins Freie weiten. Aber das Freie bleibt hier im Grunde verschlossen, eine reine Wunschvorstellung: von der gesellschaftlichen Norm buchstäblich eingekerkert.

Das Interieur wie auch die Kostüme von Alfred Mayerhofer verorten die Handlung in die Zeit um 1900, als die Oper entstanden ist, und nicht in die Goethe-Zeit. In dieser großbürgerlichen Ausstattung wirkt der leidenschaftliche Ausbruch der verbotenen Liebe umso glaubwürdiger. Gleichzeitig wird damit deutlich, wie sehr Föttinger seinen Werther als konzentriertes, psychosoziales Kammerspiel in Ibsen-Manier versteht. Das funktioniert auch deswegen ganz prächtig, weil bei der Premierenaufführung eine durchwegs starke Sänger-Darstellungskunst geboten wurde.

Neues Rollenporträt

Mit seinem warmen, sonoren Bariton hat Daniel Gutmann als Albert wahrlich Bleibendes erreicht. Sein Albert war nicht nur rein gesanglich ein Ohrenschmaus allererster Güte, sondern hat ein originär eigenes Rollenporträt generiert. Dieser Albert ahnt nicht nur die heimliche Liebe, sondern hat durchaus Verständnis für manche Befindlichkeiten. Als Charlottes Schwester Sophie vermochte zudem Ilia Staple mit hell-lichtem Sopran zu glänzen. Ihre Verzweiflung darüber, dass sie Werther mit ihrer Liebe nicht erreicht, entwickelt sich zum zweiten großen Drama dieser Inszenierung.

Mit seinem Noch-Chefdirigenten Anthony Bramall am Pult hat das Orchester des Gärtnerplatztheaters insgesamt stilkonform und nuancenreich musiziert. Die schwebend-luzide Reduktion war genauso präsent wie der zupackende Rausch. Mit der finalen Suizidszene von Werther, in der Charlotte den sterbenden Geliebten auffindet, gelang ein weiterer berührender Moment. Der Hörer eines Münztelefons baumelt herab: kein Anschluss unter dieser Nummer. Während Werther langsam verstirbt, singt ein Kinderchor fröhliche Weihnachtslieder. So schaurig kann das Leben sein. (Marco Frei)

 

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