Kultur

Hingebungsvoller Kampf auf zu kleiner Bühne: Jasmin Etezadzadeh als Lukretia. (Foto: Zitzlsperger)

15.04.2011

Untergang der Tugend

Regensburg zwängt Benjamin Brittens "Der Raub der Lukretia" ins kleine Theater am Haidplatz

Ein großes Thema, von Livius überliefert, von Ovid, Chaucer oder Shakespeare gestaltet – bei Benjamin Britten bewusst nur als „Kammeroper“. 1946 wurde Der Raub der Lukretia bei den Festspielen von Glyndebourne uraufgeführt; auch aus Spargründen der Nachkriegszeit wurde die Oper nur für acht Sänger und zwölf Musiker konzipiert, der „Chor“ besteht lediglich aus zwei Solisten. Schon damals muss diese Tragödie vom Untergang von Tugend und Schönheit in Zeiten des Krieges, diese römisch-etruskische Geschichte mit christlichem Erlösungsrand ziemlich irritierend gewirkt haben. So wie heute bei einer Inszenierung des Theaters Regensburg.
In Regensburg hat man das Etikett „Kammeroper“ (übrigens gar nicht von Britten selbst) allzu wörtlich genommen und die Aufführung in das kleine Theater am Haidplatz gesteckt: mit minimalen technischen Möglichkeiten, einem unsichtbaren Orchester und der allzu hautnahen Konfrontation des Publikums mit dieser Handlung, die eigentlich Distanz erfordert – eben auch die eines größeren Raums.
Rom unter dem letzten Etruskerkönig: Man liegt im Krieg, die Frauen der führenden Römer treiben’s bunt mit Mohren und Sklaven. Mit Ausnahme von Lukretia. Schon allein dadurch erregt sie die Lust des Prinzen Tarquinius, der sie in einer nächtlichen Szene wie ein antiker Don Giovanni umwirbt. Sie – halb im Traum, halb in einem irrealen Zwang und ungewisser Realität – gibt sich ihm hin und büßt am Ende selbst angesichts eines verzeihenden Ehemanns ihre Beflecktheit durch Selbstmord.
Der Chor (eine Sängerin, ein Sänger) informiert, kommentiert, treibt auch selbst die Handlung voran. Für die und ihren üppig-schwülstigen Text (nach einer Schauspielvorlage), den man in Regensburg besser in der Originalsprache belassen hätte, fällt einem als künstlerischer Bezugspunkt nur die Nazarener-Malerei ein, die Geschichtsklitterung des 19. Jahrhunderts, die englische Vorliebe für künstlerische Mischformen bis hin zum Kitsch.
Darauf lässt sich die Regensburger Aufführung in der Regie der Musikdramaturgin Christina Schmidt voll ein: In einem zwar filigran durchbrochenen, aber doch sehr massiv wirkenden Gemäuer als Einheitsschauplatz mit einem Steinblock, der als Tisch, Bett, Opferstein zugleich dient, lässt sie die Figuren in eher mittelalterlicher Gewandung sehr direkt agieren: die Männer bei ihrem großsprecherischen Saufgelage, die Dienerinnen der Lukretia in ihrem geschmäcklerischen Duett am Morgen nach der Liebes-/Vergewaltigungsnacht, die Lukretia mit üppig-erotischer Ausstrahlung, die sich mit dem jungen Tarquinius heftig in Abwehr oder Lust am Boden wälzt.
Die Lyrik mancher Szenen erinnert an den Richard-Strauss-Stil einer Ägyptischen Helena: schwer einzuordnender Schwulst. Zehn Minuten dauert der hingebungsvolle Kampf, den Schatten auf ihrer Ehe will Lukretia danach nicht ertragen. Da werden keine einfachen Fragen gestellt, komplexe Antworten gegeben, hauptsächlich fragt man sich, ob und mit welcher Relevanz diese Fragen heute überhaupt gestellt werden müssen in dieser drückend und eng wirkenden Schuhkarton-Umgebung.
Noch dazu, weil das Theater Regensburg seine besten Sängerkräfte aufbietet, die dröhnend (Ryszard Kalus, Adam Kruzel, Seymur Karimov) oder mit voll ausgesungener Opernlyrik (Jasmin Etezadzadeh als Lukretia) den kleinen Raum füllen. Die orchestrale Lyrik von nebenan (unter Arne Willimczik) hat da kaum Möglichkeit, sich akustisch zu entfalten. Viele Drehtüren versuchen mit dem Dilemma der Enge fertig zu werden, suggerieren (Bühnenbild: Martin Scherm) nicht vorhandenen Raum – aber es bleibt ein halbherziger Versuch am falschen Platz. (Uwe Mitsching)

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