Kultur

Die Gestalten geraten in diesem irritierenden Maschinentheater oft in Schräglage. (Foto: Thomas Aurin)

22.02.2019

Verführerische Zwänge

Hofmannsthals „Elektra“ am Münchner Residenztheater entwickelt einen hypnotischen Sog

Vor den Elektrikern kam noch Elektra: Ehe das Münchner Residenztheater zwecks Erneuerung der Elektroinstallation ein paar Monate schließt, gab’s eine echte Starkstrompremiere. Denn schon der erste Blick macht klar: Das Raumschiff ist gelandet. Wie ein riesiges Ufo steht das massig-filigrane Stahlgebilde da, das Starregisseur und Bühnenbildner Ulrich Rasche für seine Inszenierung von Hugo von Hofmannsthals Elektra entworfen hat.

Neun Tonnen soll das Ding wiegen, das zwar hauptsächlich spacig aussieht, aber entfernt auch an Industrieanlagen aus der Gründerzeit erinnert: Oben schwebt ein gigantischer Zylinder aus Lochblech, unten kanten sich schwenkbare Drehscheiben ineinander, die oft in gefährliche Schräglage geraten.

Die folgerichtig angeseilten Lebewesen, die das Ungetüm bevölkern, sind zwar keine grünen Männchen, sondern Aliens wie du und ich, aber trotzdem scheinen sie vom andern Stern zu kommen. An programmierte Androiden oder Cyborgs denkt man, wenn sie zum monotonen Rhythmus, der die ganze Aufführung durchpulst, auf der Drehscheibe dahinschreiten: Der Maschinentakt der Schritte gleicht einer elegant-gespreizten, zugleich brutalen Mischung aus Marsch und Tanz, getragen von der mal an-, mal abschwellenden Musik Monika Roschers. Die Streicher- und Percussion-Klänge, die sechs Live-Musiker entfesseln, wirken, als hätten sich Philip Glass und Carl Orff verschworen, uns in eine Art Trance hineinzubeamen.

Im Takt von Robotern

Die Akteure unterwerfen nicht nur ihre Schritte, sondern auch ihre abgehackte Sprache dem entpersonalisierten Robotertakt. Kurzum, hier ist ein gigantischer, verselbstständigter Mechanismus am Laufen, dem niemand entkommt, auch nicht der Zuschauer.

Denn der ungeheuer suggestive, fast gewaltsame Klang-, Wort- und Bewegungsstrudel, in den wir da gezogen werden, spiegelt die deformierende Gewaltsamkeit der Fremdbestimmung, der sozialen Konventionen, denen die Dramenfiguren unterworfen sind.

Gleichwohl besitzen diese Zwänge ein beachtliches Verführungspotenzial: Wer ehrlich ist, muss zugeben, dass man sich dem hypnotischen Sog dieser Aufführung, die, ganz ohne Richard Strauss, große Oper ist, kaum entziehen kann. Es hat trotz der teils erheblichen Lautstärke etwas Einlullendes, sich dem alles normierenden Rhythmus hinzugeben. Man spürt, wie leicht man den Verlockungen des Rausches erliegen könnte, den paradoxen Entgrenzungsversprechen autoritärer Gleichförmigkeit.
Nun ist Hofmannsthals Elektra (1903) tendenziell ein Kammerspiel, und dementsprechend steht eigentlich eher das Innenleben der Figuren im Mittelpunkt. Diese Intimität wird aber durch rasches, wuchtiges Maschinentheater auf irritierende Weise kontrastiert, ja eigentlich konterkariert. Die volle Dröhnung, die er uns vorsetzt, hat mit feiner Seelenziselierung nichts zu tun. Was als individuelle Neurose erscheinen könnte, also Klytämnestras Albträume oder Elektras Monomanie, ist hier eingebunden in die unerbittlich stampfende Mechanik der Gesellschaft, in das permanente, vorbestimmte Kreisen – und offenbart sich so als Teil einer kollektiven Pathologie.

Nicht ohne Grund hat der Regisseur einen Chor eingebaut, der passagenweise den Text der Figuren nachspricht. Die innere Vielstimmigkeit, die doch zum Individuum gehört, ist somit erkennbar gleichgeschaltet, auf Einstimmigkeit getrimmt. Man erfährt fast leiblich, wie Ansichten, Absichten und Gefühle dieser Androiden von vorgegebenen Normen bestimmt sind.

Umso anrührender, fragiler und unmöglicher wirken die wenigen zaghaften Versuche der Antiheldinnen, sich als autonome Personen zu behaupten. Großartig, wie Juliane Köhler als Klytämnestra einen Schimmer somnambuler Menschlichkeit über ihre blasse, blonde Hoheits-Attitüde flackern lässt, als sie vor der verhassten, sie hassenden Tochter Elektra Schwäche, ja Hoffnung auf Hilfe zu zeigen wagt und ihre Albträume erzählt. Und Katja Bürkles Elektra, diese verbissene, ausgezehrte Rächerin, erscheint absurderweise am humansten noch dort, wo sie tierisch wird: Wenn ihr der Geifer vom Kinn tropft wie einem hetzenden Jagdhund. (Alexander Altmann)

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