Kultur

Zumindest nach Rossinis Intention ist das Werk kein Beitrag zum Verständnis des Islam und zum toleranten Miteinander. (Foto: Angelika Röder)

28.01.2011

Vergnüglicher Wahnsinn

Die Neuinszenierung von „L’Italiana in Algeri“ im Theater am Gärtnerplatz

Kann man sich einen luxuriöseren Kreuzfahrtdampfer vorstellen als das ZDF-Traumschiff? Für Mustafà, Bey von Algier, schuf ihn der Bühnenbildner Toto zur Neuinszenierung von Rossinis L’Italiana in Algeri. Virtuos witzig werfen er und Regisseur Thomas Enzinger Historie und Stile durcheinander. Mustafà residiert nicht wie vordem in einem maurischen Landhaus, sondern auf See. Sein Schiff offeriert Piraten, Eunuchen, christliche Sklaven und eben in den Souks ersteigerte frische Haremsware, die unter grässlichem Wehklagen als Eigentum gebrandmarkt wird. Obwohl – ganz so schlimm ist es dann wohl doch nicht, denn des Despoten Ausführungsorgan Haly begnügt sich wohl mit aufklebbaren Tattoos (Derrick Ballard findet später für sein Preislied auf Le femmine d’Italia ja auch amouröse Piani).
Elvira ist allzu laut
Weitere Passagiere sind die Bey-Entourage mit vernachlässigter und daher zu allzu lauten Tönen neigender Gattin Elvira (Stefanie Kunschke), die Zofe und die Alkohol servierenden Domestiken: Bei Opern-Moslems muss Allah seit Osmins Weinexzess ein Auge zudrücken. Und es gibt eine Kanone. Mit ihr können Marine-Janitscharen Flugzeuge so geschickt abschießen, dass Donna Isabella mit Spitzen gesäumtem Sonnenschirm vom Himmel direkt ins Wasser-Serail schwebt; derweilen werden auch ihr die philippinische Präsidentengattin Imelda Marcos und deren Fußbekleidungsfimmel nacheifernder Schuhschrank, ein Gucci-Koffer und ihr trottelhafter Verehrer Taddeo aus den Wellen gefischt. Mit diesem spektakulären Auftritt nimmt die umgekehrte Entführung aus dem Serail ihren vergnüglichen Lauf. Umgekehrt deshalb, weil hier die treibende Kraft nicht der heldenhaft entschlossene Mann ist, sondern die listig feurige Italienerin Isabella, die ihren unter Muselmanen verschollenen Amante Lindoro befreien will. Der elegante begabte Tenor Karol Kozlowski hat uns schon mit etwas mühsam gemeisterten Koloraturen von der Qual berichtet, für die Geliebte zwar zu beben, aber fern von ihr zu leben. Vor dem happy end ist freilich der in die exotische Europäerin liebeshungrig vergaffte Mustafà an der Nase herumzuführen. Stefan Sevenich ist ein Glücksfall für die Aufführung, ein schauspielerisches Urtalent, lebensprall und mit delikaten Nuancierungen in Bewegung, Gestik und Mimik, vokal imposanter Höhe ebenso mächtig wie schnurrender Koloraturen. Reicht das Volumen für größere Häuser, ist eine Karriere unvermeidbar. Mit ihrer Weiblichkeit bewusster Siegessicherheit und becircendem Gesang ist Rita Kapfhammers Isabella eine Tochter Evas, die mühelos aus der Männerwelt einen Hühnerhof leicht lenkbarer Gockel machen, einen Harem aufmischen und Machos demoralisieren kann.
Italien schafft sich nicht ab
Das Wunderbare an diesem Abend: Das Bühnengeschehen korrespondiert trotz modischer Zeitverschiebung mit der fast 200-jährigen Partitur. Der hochmusikalische Regisseur ließ sich fürs Erzählen vom Bewegungscharakter der mobilen Musik inspirieren, hatte das Ohr für die Grazie der Melodik, die prickelnden Rhythmen, die herrlich wirren Ensembles. Wann erlebt man schon, dass musikalische Realität zur Realität auf der Bühne wird? Der Dank des Publikums galt auch den Musikern davor, die mit dem temperamentvollen Lukas Beikircher den farbigen Teppich für den Aufführungstriumph gewebt hatten.
L’Italiana in Algeri 2011, was ist das? Einen Beitrag zum Verständnis des Islam, zum toleranten Miteinander, hat Rossini zweifellos nicht komponiert. Allah möge verzeihen, dass uns die Opera buffa ergötzte – und sich nun Italiens Premier Silvio Berlusconi brüsten könnte, falls Isabella und Lindoro die Geburtsrate auf der Apenninenhalbinsel (derzeit durchschnittlich 1, 38 Kinder pro Frau) mit Zwillingen übertreffen sollten: „Italien schafft sich nicht ab...“ (Klaus Adam)

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