Kultur

Hanne Darbovens Ost-West-Demokratie reflektiert wie in einem Zeitstrahl zwischen den Flaggenreihen den Kalten Krieg. (Foto: Lepkowski Studios)

05.11.2021

Vermessung der Welt

Der Kulturspeicher Würzburg zeigt künstlerische Antworten auf Fragen der Ordnung

Mit dem Titel New Order beginnt programmatisch die neue Leiterin des Würzburger Museums im Kulturspeicher, Luisa Heese, ihre Ausstellungsreihen. Sie fragt danach, wie Gedanken geordnet und in bestimmte Strukturen gebracht werden, wie daraus Erkenntnis gewonnen wird und wie die Kunst mit dem Begriff Ordnung umgeht.

Zur Ordnung gehört auch ihr Gegenteil: die Unordnung. Timm Ulrichs bringt das in einer Reihung mit Regelwidrigkeit ins Bild wie ein konkretes Gedicht. Dass das 21. Jahrhundert als „New world order“ erfasst werden könnte, führt Lia Perjovschi grafisch ad absurdum, und die Vermessung von Längen täuscht Sicherheit vor, gezeigt an einem Wandobjekt mit scheinbar gleich langen Zollstöcken. Hartmut Böhm will in der Progression von Stöcken als Wandrelief eine Ahnung von Unendlichkeit in genau ausgerechneter Struktur sichtbar machen. Bei der Serie Zeittraum mit gefalteten Formen als Wandrelief reflektiert Katja Strunz über die Bezüge von Vergangenheit und Gegenwart.

Die Verschränkung von digitalem und analogem Raum ist Thema von Barbara Herold in Vice Versa: Dafür muss man sich eine App herunterladen und die Augmented-Reality-Installation auf dem Vorplatz des Museums betrachten.

Wie Ordnung in der Gesellschaft verstanden wird, etwa durch Erziehung beim Essen mit Messer und Gabel, daran erinnert Eva Kot’átková. Auffällig grellbunt und sehr geordnet wirken die großen Bildtafeln von Peter Halley: Klar geometrisch gegliedert sollen sie in minimalistischer Weise an Hausbau und Stadtarchitektur denken lassen; verstärkt wird dies auch durch die krisselige Oberflächenstruktur wie bei einem Wandputz. Die Verbindung zu sozialen Fragen, etwa zur Gleichförmigkeit im Alltagsleben, ist hier nicht abwegig.

Die industrialisierte, überstrukturierte Landwirtschaft kommt bei Andreas Gursky durch gleichmäßig angelegte Blumenfelder ins Bild, die nicht mehr an Natur erinnern. Videoarbeiten, wie von Harun Farocki, befassen sich mit der Statistik zu gesellschaftlichen Vorgängen, etwa mit Migration und Stereotypen dazu. Die Filmfolgen von Clemens von Wedemeyer entwerfen durch irritierende Massenansammlungen eine kontrollierte Ordnung in Algorithmen und eine Voraussage, wie wir uns künftig bewegen könnten im Verkehr, in der Raum- oder Architekturplanung.

Prinzip des Zettelkastens

Dinge, die nicht zusammenpassen – etwa Fundstücke, Naturfragmente und künstliche Leuchtmittel – bringt Gabriel Rico in Fauna in neue Zusammenhänge. Durch einen Pigmentdruck hat Claudia de la Torre dem Zettelkastensystem und damit der (früheren) Ordnung des Museums ein abstraktes und doch gegenständliches Denkmal gesetzt. Die Hommage à Dürer von Vera Molnar ist durch computergesteuerte Algorithmen entstanden: als Relief mit Nadeln, einmal in Weiß, einmal in Schwarz. Der Bezug zu Dürer ist dadurch kaum mehr zu erkennen.

Den zweiten Ausstellungsraum nimmt die große, 190-teilige Wandinstallation Ost-West-Demokratie von Hanne Darboven ein, als Symbol für den Kalten Krieg: Oben sieht man eine Reihe amerikanischer Flaggen, unten der russischen; dazwischen platziert sind für jedes Jahr je eine beschriftete Karteikarte in drei Reihen. Dieser Zeitstrahl wird eingeleitet mit den Flaggen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR.

Davor gibt ein Werk von Monica Bonvicini zu denken: Bei Waiting, einem Geländer aus Edelstahl, wie um Menschenansammlungen in eine Ordnung zu zwingen, und Handschellen an einer Einbuchtung sind bedrohliche Assoziationen möglich.

Der Aufteilung der Welt in verschiedene Zeitzonen hat sich Alicja Kwade mit in sich verschränkten Formen aus Cortenstahl gewidmet, also dem Versuch des Menschen, durch Konstruktion von Zeit Ordnung in die verschiedensten Teile der Welt zu bringen, sie beherrschbar und begreifbar zu machen. Doch das Ganze wirkt doch wie eine raumgreifende, künstliche Spielerei. (Renate Freyeisen)

Information:
Bis 9. Januar. Museum Kulturspeicher, Oskar-Laredo-Platz 1, 97080 Würzburg.

 

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