Kultur

Luren durch den Vorhang: Arnulf Rainers Schauspielerporträt von Sybille Canonica (1998). (Foto: Schlossmuseum/Arnulf Rainer)

06.06.2014

Verunsicherte Voyeure

Die Murnauer Ausstellung "Der intime Blick" berührt viele unvermutete Aspekte

Intimismus – nein, das ist nicht das Schlagwort einer Marketing-Strategie für Damen-Unterwäsche, sondern ein schon 1893 geprägter Begriff aus der Kunstgeschichte. Ursprünglich meint er den „Blick auf ungewöhnliche Formate und angeschnittene Kompositionen“ in Wohnräumen und in entsprechend gedämpfter Farbpalette.
Der intime Blick heißt eine Ausstellung im Schlossmuseum Murnau: Sie weitet den Blick von den Wohnräumen auch auf Ateliers, auf Begegnungen, sogar auf Porträts – kurz: auf die „Bilder von Stille und Nähe“. Sie weiß, etwa nach der Schau skandinavischer Kunst in München, das Publikumsinteresse auf ihrer Seite, wenn sie etwa den Dänen Vilhelm Hammerskoi wiederum zu den Malern von „Interieurs voller Stille und Melancholie“ zählt und zitiert.
Zum Blick ins Intime zählt zuerst: die Tür. Sie versperrt den Blick, öffnet sich höchstens einen Spaltbreit. Deswegen beginnt der Murnauer Voyeurismus mit solchen Bildern wie Offene Türen (von Hammerskoi, 1905) oder endet mit ludwig II am morgen von Leif Trenkler 2005: Hier ist die Tür ein wenig geöffnet, von Gardinen halbwegs verdeckt, der Blick geht hinaus auf einen französischen Balkon und weiter in einen herrschaftlichen Park. Der Betrachter mag sich in der Rolle des Königs fühlen, der die intimen Momente besonders liebte: sehen, aber nicht gesehen werden.
Zwischen erotischen Untertönen bei Allein zu zweit und der eingefrorenen Leere halboffener Zimmer bewegt sich diese Ausstellung in Murnau mit ihrem schönen Katalog und ausgestattet durch die Bestände von zwei Privatsammlungen. Sie fängt fast spätbiedermeierlich an und hat ihren ersten Höhepunkt beim Schwerpunkt mit den Bildern des Post-Impressionismus‘ von Bonnard, Vallotton, Vuillard: Im Zeitalter von immer mehr Industrialisierung schaut man wieder aufs Private, auch auf häusliche Einrichtungen. Menschen verschmelzen mit dem übermächtigen Dekor, „Heime können schnell unheimlich werden“, sagt Kuratorin Sandra Uhrig und verweist auf Felix Vallottons Le Piano. In der Stille der Interieurs wird gelesen, gestrickt, sinniert – am Ende sind die Räume leer, konzentriert sich der Maler auf den Sonnenschein, der in einen Salon einfällt (William Henriksen).
Anklänge an die niederländische Barockmalerei sind unübersehbar. Dort würde man auch den Künstler im Atelier als Motiv wiederfinden. Weniger wahrscheinlich das still nebeneinander stehende Ehepaar (Carl Christian Ferdinand Wentorf), bei dem man trotz des weiten Blicks auf die ruhige See im nächsten Moment eine Ibsensche Eheszene erwarten würde.
Die in Murnau unter dem Aspekt intimer Blicke in Ateliers ausgestellten Bilder zeigen Frauen in privaten Augenblicken: Wie sie erschöpft dasitzen, den Lidstrich korrigieren. Ernst Ludwig Kirchner fügt die Unterhaltung im Schatten eines Hauses von 1910/11 hinzu: bewusst kunstlos, die beiden Freundinnen sehr relaxed, ein bisschen Palme dazu, ein Beistelltisch – alles ohne klassische Posen, ohne Inszenierungen. Da rätselt man Bild für Bild darüber, was denn das „Intime“ der dargestellten Situation ist. Keine Frage ist das bei den Schlafenden wie in David Hockneys Felicity sleeping with Parrot (1974): Welchen intimeren Blick als auf den Schlaf könnte es geben? Mehr als alles andere zeigt er unsere intimste Sphäre – auch bei Karl Hubbuck oder Eduardo Chillida.
Momente höchster Intimität findet Leif Trenkler auch in der griechischen Mythologie: Die Schrecksekunde, als Calisto merkt, wie sie sich durch Heras Rache in eine Bärin verwandelt – ein Bild, das einen nicht einschläfert, sondern höchst verunsichert aus dieser Ausstellung entlässt, die dem Thema viele, auch unvermutete Facetten abgewinnt. (Uwe Mitsching) Bis 29. Juni. Schloßmuseum, Schloßhof 2 – 5, 82418 Murnau. Di. bis So. 10 – 17 Uhr. www.schlossmuseum-murnau.de

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