Kultur

Der junge Hofrat Erthal mit einem Diener. Detail aus einem Gemälde von Nikolaus Treu; sehen Sie die Gesamtansicht im unten stehenden Artikel. (Foto: Museum für Franken/H.J.Wiehr)

14.02.2020

Vielsagende Museumsschätze

Für eine neue Buchreihe entlockt Erich Schneider Exponaten des Museums für Franken spannende Geschichten

Karrieristen haben keinen Nine-to-five-Job. Wer aufsteigen und sich auf internationalem Parkett beweisen will, legt auch Nachtschichten ein. Erst recht, wenn er gerade bei einem ultrawichtigen Meeting war: Dann checkt er selbst zu später Stunde seine Mails und schreibt noch schnell ein Memo an den Chef. Wenn Erich Schneider im Museum für Franken, Würzburg, so spricht, hat er keinen in sein Smartphone tippenden Junior Manager der New Economy vor Augen, sondern den 29-jährigen Franz Ludwig von Erthal im gerüschten Seidenhemd unter pelzverbrämtem Hausmantel am Sekretär samt Feder im Tintenfass. Es ist drei Uhr nachts – der aufstrebende Hofrat hat noch nicht einmal Zeit gefunden, seinen Hut abzulegen. Kam er gerade vom Papst? Dorthin hatte ihn nämlich anno 1759 sein Dienstherr, der Würzburger Fürstbischof Adam Friedrich von Seinsheim, geschickt, um über den Stand der Dinge in der fränkischen Diözese zu berichten. Eine außerordentliche Mission – wie gut, dass des Fürstbischofs Hofmaler Johann Nikolaus Treu auch in Rom weilte und gleich ein repräsentatives Gemälde anfertigen konnte.

Andere Kunst-Geschichte

„Heute würde man vermutlich ein Selfie posten“, sagt Erich Schneider schmunzelnd. Er hat ein Faible dafür, Kunstobjekten Geschichten zu entlocken: Sei es, dass er die Lebenswirklichkeiten von einst zu heute in Beziehung setzt und dabei oft erstaunliche Parallelen entdeckt. Sei es, dass er das Augenmerk auf sonst weniger beachtete Details der Darstellung und der Machart oder aus dem Leben der Künstler und Porträtierten lenkt. Oder dass er die bislang kaum beachtete politische Brisanz vor Augen führt, die sich an einem Riemenschneider-Tisch ablesen lässt.

Das Museum für Franken ist eine reich sprudelnde Quelle für viele Kapitel einer etwas anderen Kunst-Geschichte – 100 findet man in den ersten beiden Bänden einer neuen Buchreihe von Erich Schneider, der Gründungsdirektor des Museums ist. Je 50 Exponate hat er ausgewählt („ich musste gehörig eindampfen“) für die Gemälde mit Geschichte(n) und Möbel mit Geschichte(n).

Den Möbelstücken ist der erste Band gewidmet – und das nicht von ungefähr: Deren Reichtum und Vielfalt im Museumsbestand – der sich aus vielerlei Sammlungen des 19. Jahrhunderts zusammensetzt, die im vormaligen Mainfränkischen Museum aufgingen – drängt sich vor die Gemäldekollektion. Das allerdings oft nicht in der Wahrnehmung der Museumsbesucher: „Möbel werden als Kulisse angesehen, sie sind uns heute viel zu selbstverständlich, als dass wir sie mit besonderer Aufmerksamkeit betrachten“, sagt Erich Schneider. Selbst in Schlössern und Residenzen werden aufwendige Stücke meist nur im Ensemble eines Raumkunstwerks wahrgenommen. Und Alltagsmöbel werden erst recht links liegen gelassen: „Eine Truhe ist halt nur ein Kasten, ein dienendes Teil“, sagt Erich Schneider.

Vielleicht steht gerade deshalb geradezu herausfordernd ein recht schlichter, grober Mehlkasten am Beginn dieser wunderbar illustrierten Möbelschau – noch vor hochartifizieller Möbelkunst wie einem Prunkschreibtisch, den Würzburg einst Bayerns Kronprinz Maximilian zu dessen Hochzeit mit Marie Friederike von Preußen geschenkt hat. „Der Widerspenstigen Zähmung“ betitelt Erich Schneider allerdings seine Beschreibung des Mehlkastens – des Buchenholzes wegen, das zwar hart und beständig ist, sich aber leichter verwindet und schwieriger zu verarbeiten ist, weswegen man es früher für Möbel eher weniger verwendete.

Mit Geißfuß verschönert

Bei dem Mehlkasten handelt es sich um eine Pfostenstollentruhe mit gewölbtem Deckel – ein Allerweltsmodell, das handwerklich zwar nicht so ausgefeilt, dafür aber seit dem Mittelalter über Jahrhunderte hinweg so gearbeitet war. Für die Wertschätzung dieses Kastens über seine Funktion hin-aus spricht, dass man mit einem Geißfuß (messerähnlich, mit V-förmiger Schneide) geometrische Linienmuster zur Verzierung eingeschabt hat.

Im privaten Haushalt stellen Truhen die ältesten Möbelstücke dar (übereinandergestapelt bildeten sie quasi Schränke) und haben an sich repräsentativen Charakter: Wer eine Truhe sein Eigen nennt, hat auch Besitztümer, die er darin verstauen kann. Das Buch zeigt einige Varianten in Größe, Herstellung und Verzierung.

Da gibt es aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die große, 170 Zentimeter lange, sockellose Truhe, die mit Eisenbändern stabilisiert ist. Was mag einst darin verstaut worden sein? Wäsche und Kleidung, oder Hausrat? Vielleicht auch alles zusammen, das gesamte Hab und Gut? Man konnte die Truhe darüber hinaus nicht nur zum Sitzen nutzen, sondern – die Tragegriffe weisen darauf hin – auch zum Transportieren, ganz der Wortbedeutung „Möbel“ entsprechend, das sich vom lateinischen Wort „mobilis“ (beweglich) ableitet. Unter diesem Aspekt ergibt auch die Vorstellung eines luxuriösen Schlittens aus dem Barock als Möbelstück Sinn: Der Sitzkasten ist als liegender Jaguar gestaltet, der verwundet die Zunge bleckt und seine Krallen zeigt. In seinem ausgeweideten Bauch saß einst der Schlittenlenker, natürlich der Würzburger Upperclass.

Geradezu schäbig sieht daneben eine kleine, abgenutzte Truhe aus, die ein Schlaglicht auf einstige Underdogs wirft und gleichzeitig für den Typ beweglicher Truhen steht, die Geld oder wichtige Schriftstücke beherbergten. Martin von Seinsheim hatte 1416 das Rock- und Schuhalmosen gestiftet, demzufolge alljährlich 20 Paar Schuhe und 20 Röcke an minderbemittelte Würzburger vergeben wurden. Der Stadt oblag die treuhänderische Verwaltung dieser Stiftung – die entsprechenden Unterlagen wurden in dieser Truhe verwahrt.

Ominöses Allheilmittel

Für kleinere Schreibutensilien gab es Kabinettschränkchen mit Schubladen, wie jenes aus der Renaissance, das es in die Top 50 von Erich Schneiders Auswahl geschafft hat: Man sieht, ganz wie es die italienische Mode der Zeit wollte, Architekturphantasien, und zwar als Einlegearbeiten aus verschiedenen Hölzern „gemalt“.

An Raffinesse übertrifft es aber das nur wenige Zentimeter große Kästchen, das einst Balthasar Neumann gehörte: Papageien, Schmetterlinge, florale Ranken, Harlekine, die Phantasievögel an der Leine führen – das Ganze als Einlegearbeit (Boulle-Technik) mit Schildpatt, Messing und Zinn. Was mag der berühmte Barockbaumeister darin aufbewahrt haben? Erich Schneider weiß, dass Neumann von seiner Geburtsstadt Eger ein „antidotum Mithridatis“ geschenkt bekommen hat – über viele Jahrhunderte seit der Antike das Universalheilmittel schlechthin. Vielleicht hob Neumann den kleinen Flakon in dieser edlen Schatulle auf? Mit ihrem rotbraun-flammenden Holzgrund würde sie jedenfalls den magischen Zutaten dieser Kräutermedizin entsprechen: Entenblut, Schlangen- und Krötenfleisch sollen in das Allheilmittel vermengt gewesen sein.

Solche Gedankenausflüge und unterhaltsam beiläufig eingestreutes Fachwissen (etwa über den Unterschied zwischen Kistler, Schreiner, Tischler, Ebenist, Galanteriekistler) sind typisch für Erich Schneiders Kunst-Geschichten – die er „zwischen Tagesschau und letzter Wetterkarte des Abends“ geschrieben hat, wie er verrät. Solche Nachtarbeit der Karriere wegen, wie einstmals der junge Erthal (der es tatsächlich zum Fürstbischof von Würzburg und Bamberg gebracht hatte), hat Erich Schneider aber nicht mehr nötig: Nach vielen Stationen in Frankens Kultur- und Museumslandschaft (unter anderem war er von 1990 bis 2015 Leiter der Museen und Galerien Schweinfurt, fast gleichzeitig Leiter des Schweinfurter Kulturamts) verabschiedet sich der Museumsdirektor bald in den Ruhestand. Bis es so weit ist, verspricht er noch einen dritten Band der „Geschichten“-Reihe: Dafür bringt er Glanzstücke aus Gold- und Silbergerät zum Sprechen. Mit Blick auf die reichen Bestände des Museums hätte er noch viele Ideen zu weiteren „Geschichtsbüchern“. Zu den Skulpturen (Riemenschneider), zu Fayencen oder zu Architekturzeichnungen von Balthasar Neumann meint er: „Die erscheinen wahnsinnig trocken, können aber auch sehr lebendig erzählt werden.“ (Karin Dütsch)

Information: Erich Schneider, „Möbel mit Geschichte(n)“ und „Gemälde mit Geschichte(n)“, Nünnerich-Asmus Verlag & Media, Oppenheim am Rhein, 152 beziehungsweise 160 Seiten, je 19 Euro. ISBN 978-3-96176-091-6 und 978-3-96176-092-3

Abbildungen (Fotos: Museum für Franken/H.J.Wiehr):
Drei Uhr nachts – der junge Hofrat Erthal erledigt noch schnell seine Post. Gemälde von Nikolaus Treu.

Der Korpus des luxuriösen Jaguar-Schlittens wurde gegen Ende des 17. Jahrhunderts gefertigt, das Gestell mit den Kufen ist gut 100 Jahre jünger.

Die kleine Schatulle  gehörte einst dem legendären Baumeister Balthasar Neumann. Bewahrte er darin das Allheilmittel „antidotum Mithridatis“ auf, das so magische Ingredienzen wie Entenblut, Schlangen- und Krötenfleisch enthielt?  

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