Kultur

Ganz auf Silhouette gearbeitet: Model in einem Kleid von Jacques Griffe, 1953, fotografiert von Regina Relang. Foto: Münchner Stadtmuseum

29.01.2010

Vom Korsett zur Shapewear

Das Münchner Stadtmuseum zeichnet die Geschichte der idealen Frauensilhouette in der Mode nach

Wäre es die Unbill des Klimas alleine, würden bis heute zum Schutz des Menschen ein Fell und ein Gewand aus Pflanzenfasern genügen. Aber nein, selbst in dieser Phase der „Neandertaler-Fashion“ begnügte man sich nicht mit dem bloß Notwendigen: Zur Kulturgeschichte der Menschheit gehört von Beginn an die auch an der Kleidung ablesbare soziale Differenzierung: Wer mehr zu sagen hatte, konnte sich ein edleres Fell leisten, hatte Gewänder, die durch raffiniertere Muster, Farben und Formen mehr hermachten. Mit der Steinzeit-Mode beginnt die Ausstellung Mode sprengt Mieder des Münchner Stadtmuseums nicht, aber all die Kleider, die dort auf einem imaginären Laufsteg die Mode der vergangenen 200 Jahre schlaglichtartig Revue passieren lassen, begleitet unweigerlich die Frage der „Notwendigkeit“ – von jener der „Praktikabilität“ ganz zu schweigen, denn (fast alle) Exponate waren für „gut betuchte“ Damen gedacht, die in diesen Gewändern repräsentierten: Welche hätte sich etwa in ihrem weitbereiften Rokoko-Kleid bücken und ihr Potschamberl selbst entleeren können? Welche hätte im Waschzuber rumgestochert, wo doch schon das kleinste Erschrecken sie in Ohnmacht fallen ließ, weil der eingeschnürte Oberleib ihr gleich die Luft mit abschnürte? Dass man die Alltags-„Mode“ eines überwältigenden Großteils der Frauen in dieser Schau nicht sieht, hat nichts mit Ignoranz der Ausstellungsmacherin und Leiterin des momentan im Depot verwahrten Münchner Modemuseums, Isabella Belting zu tun: Mode ist per se elitär, Trendsetter sind die „happy few“. Und so sieht man Roben von heute unbekannten Damen des Münchner Hofes, von Kaiserin „Sisi“, der Gräfin Courten, von der persischen Ex-Kaiserin Soraya, der Künstlerfürstengattin Frida Kaulbach, von der „Filmkaiserin“ Romy Schneider oder von der Schauspielerin Winni Markus. Schillernd auch die Namen der Couturiers: Schober, Redfern, Fortuny, Dior, Schulze-Varell, Oestergard ... Freilich ist es erst dann gerechtfertigt, von Mode zu sprechen, wenn ein Stil, der zunächst in den Salons, auf dem Parkett des Hochadels oder im Schweinwerferlicht des roten Teppichs reüssiert hat, von den Massen aufgegriffen wird – was nach dem Perpetuum mobile-Prinzip zu neuem Ansporn der Wenigen führt, sich erneute Abgrenzungsmerkmale einfallen zu lassen. Gerade Modejournale (in Ausstellungsvitrinen), die in der Zeit nach der Französischen Revolution überall in Europa aus dem Boden schossen, stehen für dieses Absorbieren der Modetrends im Bürgertum. Und so denkt man sich beim Gang durch die Ausstellung unwillkürlich egalisierte Formen der trendigen Spitzenstücke hinzu. Die Ausstellung konzentriert sich auf ein wichtiges Agens der Mode: die weibliche Silhouette. Um die weiblichen Kurven je nach Zeitgeschmack richtig zu betonen, genügen nicht ein paar Abnäher hier und da. Es bedarf schon massivere Hilfsmittel: des Korsetts, später des BH’s und des Hüftgürtels, heute der diversen Push-Ups und der Shapewear. Mal ließ sich mit dem Korsett der Körper in Trichter- oder S-Form verbiegen, mal wespenartig in der Taille fast durchtrennen. Aufwändig gestaltet war es bei der Dame von Stand, die Hilfe brauchte beim oft stundenlangen Schnüren. Manches Dienstmädel versuchte diesen Trend nachzuahmen, schnürte sich Bänder und Gürtel um die Taille, um wenigstens eine „Nahtstelle“ zu markieren; vielleicht konnte sich eine Köchin sogar selbst ein billiges Mieder leisten, das sie dann trotz herausstaksender und pieksender Formstäbe aus Fischbein so lange trug, bis es ihr vom Leib fiel. Schönheit muss leiden – bis zur Groteske. Da nützten auch ärztliche Mahnungen vor Begleiterscheinungen der Deformation am inneren Organaufbau nichts. Oder vor den Folgen zu dünner Kleidung bei kaltem Wetter: Wer sich eine Erkältung eingefangen hatte, litt unter der „Musselinkrankheit“, pflegte man in napoleonischer Zeit zu sagen, als die Mode nach den dekadenten Ausuferungen des Rokoko die Strenge der Antike und schließlich der römischen Cäsaren entdeckt hatte. Was da manche Dame von durchaus respektablem Ruf in der Öffentlichkeit trug, war nicht mehr als ein gehauchtes Etwas – und obendrein durchsichtig. Darunter hatte sie ein fleischfarbenes Trikot an. Den besonderen Kick verlieh noch ein sorgsam drapierter Kaschmirschal. Lediglich ein schmales Band unterm Busen raffte den fließenden Stoff zusammen – das Korsett war „gesprengt“. Aber nicht für lange Zeit: In den folgenden Moden erlebte es mehrere Wiederbelebungen – und erneute Verbannungen in die Kommode. Freilich machte es Variationen durch – bis hin zum heute selbstständigen Kleidungsstück, das sich vom Drunter zum Drüber gemausert hat und das die schnürende Funktion nurmehr als optischen Reiz zitiert. Eine richtige „Befreiung“ vom „Korsett“ des Modediktats ist das nie gewesen. Wie zwanghaft zieht sich doch auch heute manches Pummelchen einen Mini-Rock an, um beim trendigen Schaulaufen nicht auf der Strecke zu bleiben. Das Joch der Idealsilhouette, der Traummaße ist geblieben. Und deshalb interpretiert man das Lila an den Ausstellungswänden im Stadtmuseum auch weniger als Farbe aufmüpfiger Emanzipation denn als Farbe der Veilchen, der charmanten Verführung. „Die Kleidung ist ein erotisches Problem“, schrieb Eduard Fuchs 1906 (Die Frau in der Karikatur). Den Korsettgegnern warf er vor, die „Logik des weiblichen Konkurrenzkampfes“ zu missachten, nämlich das „Auffallenmüssen und die Notwendigkeit, beim Manne Begierde zu wecken“. Deshalb hängt Frau das wie auch immer in den verschiedenen Moden bezeichnete Reformkleid als untaugliche Waffe an den Nagel und schlüpft lieber in jenes Stück, das besser zur Geltung bringt, was Mann sehen will – solche List fordert ihren Tribut, egal wie sehr es dann zwackt. (Karin Dütsch)

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