Kultur

Ein fast leerer Schreibtisch: Herrlich! Harald Grill hat in der Villa Concordia ideale Arbeitsbedingungen gefunden, um sein großes zweibändiges Romanwerk „Zweimal heimkommen“ zu vollenden. (Foto: Dütsch)

20.07.2012

Von der Weisheit der Wände

Harald Grill will als Stipendiat in der Villa Concordia sein Mammutwerk "Zweimal heimkommen" vollenden

Wer Stipendiat der Villa Concordia in Bamberg ist, bedarf gewiss nicht mehr der Nachwuchsförderung. So wie der mehrfach ausgezeichnete Oberpfälzer Schriftsteller Harald Grill sind die Gäste im Künstlerhaus des Freistaats in der Regel bereits arrivierte Künstler. Das Stipendium soll ihnen eine Auszeit aus ihrem Künstleralltag ermöglichen.
„Die Leute sind da so schnell. Die rennen regelrecht.“ Harald Grill an der Regnitz in Bamberg, dort, wo die Spaziergänger Richtung Hainbad und weiter zur Buger Spitze hasten: „Ich frage mich, ob die vor irgendetwas davonlaufen?“ Diese immerwährende Dynamik, Dramatik des Flusses: „Erst paddeln die Enten gemächlich dahin, doch wehe, wenn sie dem Wehr zu nahe kommen! Dann zieht es die Küken in die Strudel.“
Harald Grill an seinem Schreibtisch in der Villa Concordia, der Blick durchs Fenster geht über die pittoresk gestaffelte Dachlandschaft der Bamberger Altstadt hinüber zum Heinrichsdom: „Der hält still. Ich hatte auch schon mal das Bild einer Geiß auf dem Rücken vor Augen, die alle Viere hochstreckt.“
Bamberg zwischen Beschleunigung und Stillstand: Harald Grill hat sein Motto schnell gefunden, das ihn in den kommenden Monaten durch die oberfränkische Stadt leiten wird – bei seinen Stadtdurchquerungen von Süd nach Nord, also von Bug bis zur Mündung der Regnitz in den Main und von Ost nach West, von der Siedlung der amerikanischen Streitkräfte bis zur Villa Remeis. Er will den Charakter dieser Stadt ergründen – und das nicht bloß im Vorbeigehen. Er lädt sich ein: „Mein Physiotherapeut ist mein bester Informant. Der kennt durch seine Hausbesuche viele originelle Leute in der Stadt“, sagt er mit verschmitztem Grinsen.
Wo es gute Bamberger Hörnla zum Morgenkaffee gibt, hat der Schriftsteller aus dem Oberpfälzer Dorf Wald bei Cham schon längst selbst spitz gekriegt – vom eigenhändigen Frühstückzubereiten in der kleinen Küchenzeile seines Appartements hält er nämlich nichts, „da bin ich zu faul“. Man hat aber eher den Eindruck, dass ihm die Zeit für solche Küchenarbeiten zu schade ist: „Wenn ich früh aufstehe, setze ich mich gleich an den Schreibtisch und arbeite, bis die Gedanken nicht mehr fließen“, schildert er seinen Tagesbeginn vor dem auswärtigen Frühstück, das dann auch schnell in die Mittagsstunden fallen kann.
Seine Arbeit: Das ist nicht primär die Manifestierung seiner Bamberg-Durchquerungen in Literatur. Es geht ihm momentan um ein Wanderprojekt von weit ausgedehnterer Dimension – geografisch wie auch schriftstellerisch: vom Nordkap nach Regensburg und von Sizilien nach Regensburg. Seit elf Jahren beschäftigt er sich damit. 2500 Manuskriptseiten sind vollgeschrieben – unter dem Titel „Zweimal heimgehen“ soll nächstes Jahr ein zweiteiliger Reiseroman voller „Lebensspuren“ und „Kreuzungslinien“ erscheinen.
Da kommt ihm das Stipendium in der Villa Concordia gerade recht: Voller Tatendrang sitzt er an seinem Schreibtisch – aber der ist verblüffend leer: Zwei Bildschirme, eine Tastatur und ein kleiner quadratischer Notizblock, alles akkurat ausgerichtet. „Mein Schreibtisch zuhause ist schrecklich voll“, hier genießt er es, „nur eine Arbeit darauf zu haben.“ Diese organisatorische Disziplin will Harald Grill auch beibehalten, wenn er in ein paar Tagen innerhalb der Villa umzieht: Vom Gästeappartement in ein Appartement, das einem fürstlichen Festsaal gleicht.

Zwölf Gäste – zwölf Freunde

Das ist typisch für viele Stipendiaten im einzigen Künstlerhaus des Freistaats: die elf Monate, die sie ab Mai dort verbringen, nutzen sie als Auszeit aus ihrem Künstleralltag. Um Projekte fertigzustellen, um kreativen Abstand vom bisherigen Tun zu gewinnen, um sich für Neues inspirieren zu lassen – von der Stadt ebenso wie von den anderen elf Kollegen, mit denen sie zum Teil Tür an Tür in Appartements wohnen und in Ateliers arbeiten, oder die sie bei den Veranstaltungen im Haus treffen.
Aus zwölf Gästen sollen zwölf Freunde werden, wünscht sich die Frau, die sich einer Intendantin gleich darum kümmert, dass das Künstlerhaus eine lebendige Bühne ist: Vor zwei Jahren hat Nora-Eugenie Gomringer die Leitung der Villa Concordia übernommen; gerademal 30-jährig hat sie sich im Bewerbungskarussell gegen gut 220 Mitbewerber durchgesetzt. Und wie mancher Theaterleiter hat sie sich auf eine Gratwanderung eingelassen: Sie ist Verwaltungschefin (Etat 500 000 Euro), kreativer Spiritus rector für die Stipendiaten – und selbst Künstlerin.

Selbst am Ball bleiben

Wieviel Selbstverleugnung ist ihr möglich? „Ich bin mit meiner Kunst jetzt gefragt, da muss ich selbst am Ball bleiben.“ Aber sie hat ein geregeltes Arbeitsverhältnis mit Präsenzpflicht, kann sich nicht einfach mal so auf und davon machen. Das geht nicht einmal innerhalb des  Hauses: „Hier ist mein Büro, da geht es ausschließlich um die Arbeit für die Villa Concordia. Und wenn ich nach einem Arbeitstag nach oben in meine Privaträume gehe, bin ich erst einmal geschafft. Da sperr’ ich nicht die Tür hinter mir zu und sage, so jetzt bist du wieder Künstlerin.“
Sie hat die Hilfe eines Coaches gesucht – inzwischen beherrscht sie den Spagat zwischen den beiden Arbeitswelten. Auch wenn sie in künstlerischer Hinsicht kürzer treten muss – an Auszeichnungen mangelt es ihr nicht, an Schlagzeilen auch nicht. Sie ist prominent. Das freut die Künstlerin – ärgert aber die Direktorin: „Das Haus wird gerne ausschließlich durch mich gesehen.“ Was dem Ego schmeicheln mag, widerspricht dem Pflichtgefühl für ihre „Schützlinge“: „Das wird den Hochkarätern hier nicht gerecht. Das sind zum Teil richtige Stars der internationalen Kunstszene. Aber hier dreht sich selten einer nach ihnen um.“
Das Handy meldet den Eingang einer SMS: „Na prima!“, murmelt Nora Gomringer genervt, „die Getränke für heute Abend sind immer noch nicht da!“ Es ist 15 Uhr, über der Stadt entlädt sich zu allem Verdruss auch noch ein Gewitter. Um 20 Uhr soll die Poetry Slam-Nacht beginnen – draußen, im Garten der Villa. „Plan B“, die Indoor-Lösung steht zwar, „aber da kriege ich keine 400 Leute unter.“ Diese wortkunstgewaltigen Abende zählen zu den meistbesuchten Veranstaltungen im Künstlerhaus, Nora Gomringer hat sie etabliert. Nicht, dass sie damit eine Bühne für sich selbst geschaffen hätte – sie ist ja Lyrikerin, Performancekünstlerin und hat seit 2001 regelmäßig in Bamberg zu Slamsessions eingeladen. Nein, für sie sind solche Abende eine naheliegende Gelegenheit, junges Publikum ins Haus zu locken, Schwellenängsten ein Schnippchen zu schlagen: „Welche Kunst interessiert denn Jugendliche am meisten? Das ist doch die, die sie selbst machen, in der sie sich selbst spiegeln.“
Natürlich ist so ein Poetry-Slam-Abend keine „Fremdveranstaltung“: „Alles in unserem Programm hat Bezug zu unseren Stipendiaten.“ Die gesellen sich in der Regel dazu, lassen sich vielleicht sogar selbst auf eine Session ein, egal ob sie Musiker oder Schriftsteller sind. „Für mich ist das nichts. Ich bin da zu langsam“, sagt Harald Grill mit lächelnder Selbstkritik gleich vorneweg. Aber auch er hat sich in den wenigen Wochen, seit er in der Villa lebt und arbeitet schon von Künstlernachbarn inspirieren lassen: „Die Musiker haben mir regelrecht die Ohren geöffnet.“
Keiner der Stipendiaten, die monatlich 1500 Euro (steuerfrei) erhalten, außerdem ein Appartement und gegebenenfalls ein Atelier kostenlos nutzen können, ist gezwungen, sich an den Veranstaltungen zu beteiligen – geschweige denn ist das Stipendium an einen „Arbeitsnachweis“ gebunden. Ob sich ein Künstler räumlich ebenso wie von der Geselligkeit im Haus und in der Stadt zurückzieht, oder ob er den Aufenthalt nutzt, sich mit seiner neuen Umgebung zu vernetzen: Das ist immer eine Frage der Künstlerpersönlichkeit. Und die braucht eine Schutzsphäre – wenn es um die Verteidigung der Villa Concordia als Refugium der Künstler geht, ist Nora Gomringer der strenge Hausvorstand und nicht mehr der unkompliziert-kollegiale „gute Geist“ des Hauses: „Die Stipendiaten leben hier nicht wie im Zoo!“ Deshalb bleiben viele Türen in diesem Raumkunstwerk des 18. Jahrhunderts ebenso wie im modernen Atelierbau für Neugierige verschlossen, gleiches gilt für die Dependance des Künstlerhauses im „Ebracher Hof“ am Unteren Kaulberg.
Aber Begegnungen zwischen Zaungästen und Stipendiaten ergeben sich zur Genüge bei den Veranstaltungen – und an deren Fülle (bis zu 90 im Jahr) zeigt sich, dass der introvertierte Künstlertyp doch eher selten in der Villa Concordia anzutreffen ist: „Wir können uns vor Anfragen kaum retten. Vor allem, weil auch viele Alumni den Kontakt zu uns halten wollen.“ Priorität im Programm haben allerdings immer die aktuellen Stipendiaten.
Auf Null zurückfahren
Es ist eine eigenartige Situation, die das Haus prägt: Seit 1998 haben dort zig Künstler gelebt und gewirkt – doch haben sie sich nur ganz spärlich sichtbar in die Biografie des Hauses eingeschrieben: Ein künstlerisch gestalteter Grill im Garten (der auch benutzt wird), malerische Ergänzungen in einer der historischen Stuckdecken, ein paar Stipendiaten-„Hinterlassenschaften“ in Nora Gomringers Arbeitszimmer. Es ist, als würde das Haus nach jedem Wechsel eines Stipendiatenjahrgangs „auf Null“ zurückgefahren werden. Das ist durchaus auch beabsichtigt, Nora Gomringer spricht von der „Weißheit der Wände“ – wie die Sprachkünstlerin das betont, hört man schnell die „Weisheit“ heraus: „Wände sind Projektionsflächen für Künstler. Wenn die neuen Stipendiaten kommen, sollen sie nicht das Gefühl haben, dass hier schon alles voll ist.“
Schnell ergreifen die „Neuen“ von dieser kontemplativen Leere Besitz – „wie ein Schlossherr“, freut sich Harald Grill mit fast kindlicher Begeisterung über sein Appartement. Mit ausholenden Armbewegungen beschreibt er, wie und wo er Styroporplatten an den Wänden befestigen will, und dass er quer durch den Raum Seile spannen wird – man hat Mühe, seinen flink umherwandernden Augen zu folgen, um sich diese Rauminstallation vorstellen zu können. Die hat keinen künstlerischen Selbstzweck, sondern soll sein Ordnungsgerüst für die vielen Erinnerungspapiere aus den elf Jahren „Wanderarbeit“ sein.
Ist es der Blick durch die hohe Balkontür hinaus zur Regnitz und in Richtung Bug, also dorthin, wo die Menschen immer so rennen, der auch den Schriftsteller nur so wirbeln lässt? Vielleicht ist das Künstlerhaus am Fluss auch für ihn ein magischer Energieort, um sein Mamutwerk „Zweimal heimgehen“ zu vollenden. (Karin Dütsch) Foto: Nora-Eugenie Gomringer kämpft mit der Herausforderung, ihre Arbeit als Verwaltungschefin von ihrer eigenen künstlerischen Profession zu trennen. (Foto: Dütsch)

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