Kultur

In "Wittgensteins Mätresse" erlebt man intensives Schauspiel erlebt man von den fünf Darsteller*innen, hier Andrej Kaminsky und Ute Fiedler. (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

29.11.2022

Wahrheit oder Wahn?

Die Augsburger Uraufführung von „Wittgensteins Mätresse“ entführt analog und virtuell in eine magische Endzeit

Das Kühlerhaus ist Teil des stillgelegten, in den 1915er-Jahren erbauten Augsburger Gaswerksareals und liegt damit in unmittelbarer Nachbarschaft der im Ofenhaus installierten „brechtbühne“ des Staatstheaters. Es wurde zum idealen, gewünscht irritierenden und in ein nebulöses Schwarz-Weiß-Licht getauchten Spielort für die Bühnenadaption des psycho-fiktionalen Romans Wittgensteins Mätresse, den der US-Amerikaner David Markson im Jahr 1988 schrieb.

Die stark gekürzte Bühnentextfassung des hier auf fünf Personen/Stimmen verteilten Gedankenmonologs wurde im Schauspieler*innen-Kollektiv entwickelt und von Regisseurin Nicole Schneiderbauer im geheimnisvollen Mix aus Live-Theater mit Virtual Reality inszeniert. Die vielfach ausgezeichnete Videokünstlerin Stefanie Sixt entführt in drei VR-Sequenzen in bemerkenswerte, in magisch-morbide Endzeit-Landschaften.

So erlebte das Premierenpublikum mit Kopfhörer und VR-Brille gewappnet ein atmosphärisch aufgeladenes, 75 Minuten kurzes und Konzentration forderndes theatralisches Experiment aus Performance, Hörspiel- und VR-Elementen.

Wahrheit oder Wahn? Künstlerinnenbiografie mit Familientragödie oder philosophisch unterwandertes Endzeitdrama? Die Eindeutigkeit von Realität und ihrer Darstellung wurde bewusst und ganz im Sinne Wittgensteins in Frage, beziehungsweise zur Ansicht gestellt. Das Publikum wird eingesogen, mitgenommen, involviert in diese vermeintlich apokalyptische, durch Sprache erzeugte Gedankenwelt der fünffach gespiegelten Protagonistin. Man konnte wählen zwischen Sitzen, Stehen oder wechselnden Positionen und sollte dabei lediglich den fünf Akteur*innen nicht in die Quere kommen.

Florian Gerteis, Ute Fiedler, Andrej Kaminsky, Jenny Langner und Thomas Prazak nutzen artistisch, voller Energie und Präsenz das raumdefinierende Konstrukt aus weiß getünchten Gemälde- und Fensterrahmen, um sich tanzend, turnend oder träumend in dieser seltsamen Erinnerungswüste voranzutasten, Ausschau zu halten nach dem fehlenden Gegenüber.

Im Roman heißt die Protagonistin Kate, lebt in einem Sommerhaus am Strand, hat ein Faible für Feuer ebenso wie für die Held*innen der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte. Außerdem hält sie sich für den letzten Menschen auf Erden.

„Lieber Himmel, wie überdrüssig ich es bin, das Wort Dasein anzuschauen und keine Ahnung zu haben, was es bedeutet. Es ist sehr viel Traurigkeit in jedem Fall.“ Bei Sätzen wie diesen hörte man gerne und aufmerksam zu, um nur ja keine Spur zu übersehen, um am Ende doch noch einen logischen Exit zu finden aus diesem theatralisch raffiniert nachempfundenen Weltuntergang. Definitiv motiviert das Stück dazu, den Roman nachzulesen und/oder sich mit Wittgensteins Nachlass zu beschäftigen – der im echten Leben natürlich nie eine Mätresse hatte. Intensiver Beifall für das komplette Kreativteam! (Renate Baumiller-Guggenberger)

 

 

 

 

 

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