Kultur

Demonstrieren fürs Theater als Lebenselexier. (Foto: dpa/Matthias Balk)

23.04.2021

"Wenn die Nahrung ausgeht, bekommt man Skorbut"

Gedanken aus der Politik gehen nicht über Vollsperrungen hinaus, und Bayerns Theatern droht die Luft auszugehen

Über ein Jahr Corona, und die Theater sind immer noch zu. „Es gilt nicht länger in Stillstand zu investieren, sondern in Maßnahmen, die ein gesellschaftliches Miteinander wieder ermöglichen“, fordert die Intendant*innengruppe im Deutschen Bühnenverein – der Appell ist auch schon wieder mehr als einen Monat alt. Mancher in der Runde vermutet, dass die Lobby für Kunst und Kultur schlicht nicht laut genug sei. Auch da müsse sich was ändern.
Wie ist die aktuelle Stimmungslage in Bayerns Theatern? „Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass die Stimmung gut ist“, sagt beispielhaft der Regensburger Noch-Intendant Jens Neundorff von Enzberg, der in der kommenden Saison Intendant am Meininger Staatstheater wird. Trotz aller Bemühungen, die Zuschauerräume mit Belüftungssystemen und Plexiglastrennwänden auszustatten, trotz personalisierter Eintrittskarten, Maskenpflicht, Vermeidung von Rudelbildung am Einlass, trotz Proben auf Abstand und trotz aller gehaltvollen Studien über die Gefährdung oder eben Nichtgefährdung des Publikums in Theatern findet in den Häusern kein Bühnenleben statt.

Motivieren – für wen?

Vor allem: Ein Licht am Ende des Tunnels sieht Enzberg nicht. Dennoch sagt er: „Ich versuche mich jeden Tag neu zu motivieren.“ Aber für wen und für wie lange reicht eine solche Motivation noch?

Ein Rundruf durch einige bayerische Intendantenbüros zeigt: Zwar übt man sich nach wie vor in Geduld, zwar arbeitet man beständig an Alternativen, an Varianten und abermals an Varianten der Varianten, um sie dann wieder zu variieren – aber die völlige Unplanbarkeit der Zukunft ist insofern zunehmend nervig, weil das Herzstück eines jeden Betriebs, die Programmplanung, ausgesprochen unrund läuft und lähmt.

Zwar experimentieren die Häuser mit digitalen Erkundungen des dramaturgisch Möglichen: von bezahlt bis unbezahlt, von abgefilmten Stücken bis zu neuen virtuellen Formaten. Aber so richtiges und wirkliches Theater ist das alles am Schluss dann doch nicht. Und dennoch: „Wir müssen Projekte möglich machen, bevor die Leute alle durchdrehen“, sagt Kathrin Mädler, die Intendantin des Landestheaters Schwaben in Memmingen.

„Jetzt reden wir schon wieder über Modellprojekte“, klagt sie. Dabei gebe es schon längst allerlei Studien – nur eben keine kulturpolitischen Konsequenzen daraus. Eigentlich würde der Verfassungsrang der Kultur Anlass dazu geben, „dass man differenzierter hinguckt“. Wenn im Diskurs über Prioritäten, der auch einer über Werte sei, gerade die Kultur eine so geringe Rolle spiele gegenüber Konsum und Haareschneiden, dann laufe in dieser Debatte etwas grundlegend schief, kritisiert Kathrin Mädler. Die Theater selbst sind Teil dieser Wertedebatte und schon allein deshalb unverzichtbar. Dazu gehört auch die Frage, welche Relevanz sie in der öffentlichen Wahrnehmung haben – und dazu wiederum, wie sie an neuen Formaten und Sichtbarkeit arbeiten.

Die Einmaligkeit erhalten

Das gilt auch für kleinere Häuser wie das kleine theater–Kammerspiele Landshut. Dort bietet man schon seit geraumer Weile Wochenende für Wochenende Live-Streams für Bezahlpublikum an. Live ist dem Intendanten Sven Grunert äußerst wichtig: Theater müsse diesen einmaligen Veranstaltungscharakter beibehalten – auch im Netz. Die derzeitige Situation verlange einen noch höheren Aufwand als der Normalbetrieb. Alle seien erschöpft, ausgelaugt und verunsichert: „Das Problem ist, dass man, wenn die Nahrung ausgeht, Skorbut bekommt.“

Das Landestheater Niederbayern bevorzugt ein anderes Vorgehen: Es produziert derzeit Stücke für die Kamera, die unentgeltlich für alle in eine Mediathek gestellt werden. Der Sprecher des Theaters, Konrad Krukowski, sagt: „Positiv werten kann man aus unserer Sicht, dass die Kultur, im Unterschied zu den ersten Schließungen im Frühjahr 2020 und den grob verunglückten Gleichstellungen von Theatern mit Spielhallen und Bordellen im Herbst des letzten Jahres, inzwischen eine zentrale Stellung in der Diskussion um Öffnungen einnimmt.“ Er meint: „Die Entscheider haben ganz offensichtlich den großen Wert, den Museen, Theater und Opernhäuser für breite Bevölkerungsschichten haben, erkannt und setzen sich damit auseinander. Daher waren wir sehr zufrieden, dass mit den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz vom 3. März endlich eine Öffnungsperspektive auch für Theater aufgezeigt wurde.“

In Bamberg hat das allerdings schon mal nicht geklappt. Obwohl der Inzidenzwert unter 100 rutschte, wurde das Haus nicht wieder aufgemacht. „Solange nicht ausreichend viele Menschen geimpft sind beziehungsweise es noch kein flächendeckendes Testkonzept gibt, das die Innenstädte wiederbelebt und Kultur möglich macht, müssen wir uns also weiter in Geduld üben“, sagt der Nürnberger Staatsintendant Jens-Daniel Herzog. Die Politik habe die Situation ja auch nicht geschaffen – und habe ein Recht auf ein bisschen Ratlosigkeit gegenüber Neuem.

Die Hoffnung stirbt den Bühnentod zuletzt. Dennoch will es scheinen, dass die Zahnräder des Planens aufseiten der Theater und aufseiten der Politik nicht recht ineinander greifen wollen. Für Theaterleute gehöre zur „handwerklichen Planung“ prinzipiell, für alle Fragen mindestens drei Lösungen im Kopf zu haben; auf politischer Ebene gebe es gerade eher gar keine, sagt Sven Grunert in Landshut.

Sommertheater im Regen?

Aktuell erarbeiten so gut wie alle Häuser Sommerprogramme für draußen – wohl wissend, dass auch hierfür nichts gewiss ist. Nicht wenige Theaterleute fühlen sich von Politikern allein gelassen, die einfach keine Rahmenbedingungen entwickeln können, die gedanklich über Vollsperrungen hinausgehen. Wer fragt, erntet Schweigen, sagt Jens Neundorff von Enzberg. Ein Theatersommer, der viele im Regen stehen lässt? (Christian Muggenthaler)

 

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