Kultur

"Enron": Finanzchef Andy Fastow (David Tobias Schneider, auf dem Tisch) und Firmenleiter Jeff Skilling (Tobias Ulrich) haben Schuldenmonster im Keller: Dollarfressende Raptoren. (Foto: Peter Litvai)

23.03.2012

Wider das Schwarz-Weiß-Denken

Das niederbayerische Landestheater bringt die Themen Missbrauch und Kapitalismuskritik auf die Bühne

Um mit der uns umgebenden Welt umzugehen, ist es unumgänglich, die Kategorien „gut“ und „böse“ zu benutzen. Diese Dichotomie ist aber vage und unterscheidet sich von Mensch zu Mensch – je nach Eigenbedarf. Das Landestheater Niederbayern hat es jetzt an einem spannenden Theaterwochenende unternommen, in zwei sehenswerten Produktionen genau diese Ausfärbungen zu hinterfragen. Und stößt damit mitten hinein in einen gesellschaftlichen Diskurs. Natürlich gut und böse: Die Verachtung von Menschen, die Minderjährige sexuell missbrauchen, besteht völlig zu Recht. Und zunächst scheint auch die Anordnung in David Harrowers Stück Blackbird klar.
Es geht um das Treffen zwischen dem Opfer eines sexuellen Missbrauchs und dem Täter. Bemerkenswert an Harrovers Stück ist, dass er die Menschen hinter diesen eindeutigen Zuordnungen durchscheinen lässt. Es zeigt sich: Bloßes Schwarz-Weiß-Denken ist das, was es immer ist: zu einfach.


In „Blackbird“ wird sexueller Missbrauch thematisiert


Regisseur Claus Tröger unterstützt diese Botschaft des Stücks, indem er die zwei Menschen aus diesen Umständen herausmodelliert, ohne ihr Handeln bewerten zu wollen. Im Dialog scheint eine Geschichte durch, die viel zu kompliziert ist, als dass sie ein Gerichtsverfahren oder eine Medienkampagne je abbilden könnten. Und für solche Geschichten ist das Theater ja da. Die sehr guten Schauspieler Ines Schmiedt und Olaf Schürmann lassen ahnen, was wirklich vor sich ging.
Enron, ein Werk von Lucy Prebble, ist ein Lehrstück darüber, dass das, was für den Einzelnen gut sein mag, sich für die Mehrheit böse auswirken kann. Es bietet knallharte Kritik an jenem Turbo-Kapitalismus, der Verantwortung für Wirtschaft und Mensch mit Raff- und Machtgier vertauscht hat. Prebble erzählt vom Ende einer Firma, die es tatsächlich gegeben hat und die eine derart riesige Spekulationsblase platzen ließ, dass ihr Zusammenbruch Auswirkungen auf die gesamte Globalwirtschaft hatte.
Dass aber auch hinter diesen so anonym scheinenden Wirtschaftsmächten Menschen stecken, kann man sich jetzt in der Regie von Markus Bartl vor Augen führen lassen. Er schenkt den Zuschauern nichts und zeigt Zügellosigkeit von Leuten, die allein ihre materielle und sexuelle Gewinnskala im Blick haben. Ohne inszenatorische Drastik – und viel Komik – geht das nicht ab.
So lebhaft, so überzeugend kommt diese wilde Wirtschafts-Saga, dieses Wuchtstück um Gier, Leidenschaft und Maßlosigkeit daher, dass die knapp drei Stunden Spieldauer wie nichts verrinnen. Bartl lässt die Schauspieler atemlos durch das Geschehen fegen bis hin zu Passagen, in denen zu Techno-Musik das Ensemble in Dauerhast durcheinanderhechelt wie Automaten, während im Hintergrund beständig Zahlen rattern: Sie sind Getriebene eines Systems, das sie selbst zu kontrollieren glauben, dessen Kontrolle ihnen aber schon seit langem entglitten ist: Theater ganz auf der Höhe der Zeit.
(Christian Muggenthaler)

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